Wert schaffen

Als ich jung war und zu arbeiten begann, im September 1980, war die österreichische Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter in. Die Geschichte eines polternden, lautstarken Wieners, der als Elektriker arbeitet und gerne Bier trinkt.

Ich denke nicht, dass es dieser Serie zu verdanken ist, jedenfalls war sie Ausdruck einer Haltung, ein gesellschaftlicher Konsens, mit dem ich aufgewachsen bin und den ich in mich aufnahm: Arbeit ist eine Zumutung. Eine Last, der man sich beugt. Arbeit ist etwas, das man tun muss, um sich das Leben leisten zu können. Wer sich dieser Doktrin nicht beugen wollte, war Kommunist, Linker, Hippie – oder, noch schlimmer, eine Privilegierter, der auf die Arbeitenden hinunterschaute, snobistisch und abgehoben und überhaupt …

Wer arbeitete, war einer der Guten, wer arbeitete und darüber sprach, war ein Besserer. Wer arbeitete und deswegen Tag und Nacht klagte, war ein Held! Alles war eine Strapaze, alles war ein Moloch, eine Plage, man selbst das Fleisch, das zwischen Zahnrädern aufgerieben wurde, damit es die oberen 10.000 gut und bequem haben und der Sonne in Capri beim Untergehen zusehen können.

Es ist sehr schwer, dieses Denken aus dem Kopf zu bekommen, vermutlich so schwer, wie man den Tinnitus überhören kann, wenn man ihn erst einmal ins Bewusstsein gelassen hat.

Arbeit ist freudlos, das Erarbeitete karg, und dazu passte das Gedicht

Du weißt nicht, wie die Blumen duften
denn Du kennst nur Arbeiten und Schuften
und so vergehen die besten Jahre
und plötzlich liegst Du auf der Bahre
und hinter Dir, da grinst der Tod:
Kaputtgeschuftet, Du Idiot

Diese Zeilen bringen schon die Zwiespältigkeit zum Ausdruck: Man soll arbeiten, man muss es tun. Man fügt sich dem Zwang und erkennt, dass es ein anderes Leben geben muss, mehr, als nur zu arbeiten.

Diese Gedanken sind wehmütig und zu aller Zeit nostalgisch.

Bemerkenswert finde ich im Rückblick, dass der naheliegendste Lösungsansatz erst durch ein Betriebsmodell zusammengefasst wurde, in dem es auch einige japanische Effizienzphilosophien gibt, die einen völlig anderen Zugang zum Thema Arbeit bieten.

Wer liebt, was er tut, muss nie wieder arbeiten. Das Wort Arbeit selbst ist vergiftet von der negativen Bedeutung, mit dem man es gepimpt hat.

Erste Gehversuche diverser HR-Abteilungen, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, sie wären an der Schaffung von Wert beteiligt, zerbröselten, weil man sich gleichzeitig an der Hire & Fire Methodik großer US-Unternehmen orientierte. Ihr wisst ja, dieses unverbindliche Dauergelächle, mit dem man Lohnerhöhungen und Kündigungen über den Tisch schiebt.

Erst mit ITIL 4 wurde aus der Schaffung von Wert ein Betriebsmodell, das den Menschen ein neues Mindset mit an die Hand gibt. Ein in sich wunderbar abgestimmtes und vollkommen schlüssiges Konzept, in dem aus dem alten „Ich muss arbeiten, um über die Runden zu kommen!“ ein „Ich helfe mit, Mehrwert zu schaffen!“ wird.

Ich meine, wenn jemand wie Einstein zum Beispiel noch am Abend über seinen Theorien brütete, war das dann für ihn Arbeit oder war das für ihn die Schaffung von etwas, dass ihm Wert vermittelte? Wenn ich heute am Abend zu Hause auf der Couch sitze, Tee trinke und im Notizbuch Ideen aufschreibe, wie man eine übergreifende Betriebskoordination bestmöglich mit Leit- und Richtlinien abbilden kann, ist das dann für mich Arbeit, oder einfach das gute Gefühl, an etwas von Wert mitzuwirken? Niemand verlangt von mir, das zu tun und ich machs trotzdem, weil es mich interessiert, weil es mich beschäftigt und weil es ein gutes Gefühl ist. Ich bin in Resonanz mit dem, was ich tue, so wie vielleicht ein Bauer auf seinem Feld, ein Bauherr auf seiner Baustelle, ein Tischler über seinem Werkstück.

Das ganze gesellschaftliche Konzept von Schaffung von Wert durch Opfer und Leid bricht zusammen. Damit aber auch die darauf aufbauende Konsumgesellschaft, die auf Belohnungswünsche- und Mechanismen aufbaut. Wer durch die Arbeit, die er macht, belohnt wird (so wie es Mario Vargas Llosa ausdrückte: „Der Lohn des Schriftstellers liegt in dem, was er tut!“), sucht nach keiner kaufbaren Belohnung mehr. Nach keiner Dampfzigarette, einem Fetzchen oder Kleid.

Toyota Kata

Natürlich soll man nicht wie ein Eremit leben – geh bitte! Doch es ist schon einfach so: Wer durch das, was er tut, ausgefüllt und zufrieden ist, muss sich nichts kaufen, um zufrieden zu sein. Muss sich nicht belohnen. Die Vollkaskomentalität zerfällt zu Staub.

Nicht von jetzt auf gleich. Nicht heute oder nächstes Jahr. Doch bin ich sicher, dass sich Veränderungen am Horizont abzeichnen. Ein neues Mindset, was die Schaffung von Wert betrifft, ein anderer Zugang zu dem, was man Leistung nennt.

Eigentlich schöne Aussichten.    

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