Mein Weg zu Linux

Ich habe den Weg viel zu spät beschritten, obwohl ich schon früher in meinem IT-Berufsleben auf Linux gestoßen bin: SUSE und Red Hat, irgendwann 1998 herum. Ja, solange und noch länger gibt es das Zeugs.

Mein Hauptmotiv, mich intensiver mit Linux zu befassen, begleitet mich schon seit meiner Jugend. Es ist mein Wunsch nach Privatautonomie. Dinge auf meine Art zu machen. Starken Einfluss darauf hatten immer meine Eltern, die eine wunderbare, altmodische Einstellung haben, dass Privates privat zu sein und zu bleiben hat. Dass Privatheit nicht nur ein Setting ist, eine Tür, die man hinter sich schließen, und Vorhänge, die man zuziehen kann, sondern eine Lebenshaltung. Sehr gut wird das im Film „The kings men“ ausgedrückt: Der Name eines Gentleman sollte nur dreimal in der Zeitung erscheinen. Bei seiner Geburt, seiner Vermählung und seinem Tod.

Und dazu kommt noch ein durch Medienkonsum entwickelter Widerwillen, mich ebendieser Medienkonsummühle unterzuordnen. So gesehen ist mein Weg von Windows zu Linux nicht das Hauptthema, sondern vielmehr Nebeneffekt einer Reihe von Überlegungen. Eine davon führt mich in meine Jugend zurück, als es für meine Freunde und mich besonders wichtig war, autonom zu sein, uns nicht so zu kleiden, wie alle anderen, die Dinge nicht so zu sehen, wie alle anderen, unsere Angelegenheiten zu managen, nicht so wie alle anderen. Wir wollten anders sein, als unsere Eltern und innerhalb unserer kleinen Gruppe von Landjugendlichen wollten wir anders sein als die „anderen“. Wir wollten andere Musik hören und darüber fachsimpeln, wollten nicht konform sein und waren stolz darauf, keine wohlstandsverhätschelten Weichlinge zu sein. Ohne das als Ziel zu haben, entwickelten wir eine enorme Resilienz gegen Marketing, Mode, Trends und Einflüstereien.

Das alles und letztendlich auch meine berufliche Weiterbildung in Bezug auf IT Servicemanagement und meine sich schärfende Wahrnehmung der Begehrlichkeiten der BIG IT führte dazu, mich anderweitig zu orientieren. Zumindest bei mir als Schriftsteller ist das relativ einfach, denn was brauche ich schon großartig?

  • Ein zuverlässiges, resilientes Betriebssystem, das mir Funktionen zur Verfügung stellt und nicht von mir verlangt, mich um seinetwillen damit zu befassen
  • Einen sicheren Browser und ein E-Mail-Programm
  • Ein Textverarbeitungsprogramm
  • Einen Cloudspeicher
  • Ein Notizprogramm (jahaa, ich benutze wieder eins, wird in einem eigenen Beitrag besprochen)

Das wars. Dazu brauche ich ein Laptop, das gar nicht State of the art sein muss. Es muss laufen. Ich mache daraus auch keine Ideologie. Die Entscheidungen, die mich letztendlich zu Linux führten und von Google weg, sind durchwegs pragmatisch und beruhen immer auf der Frage: Was nutzt mir? Was will ich sein? Kunde oder Batterie in der Matrix, ein Produkt? Will ich Genießer sein oder passiver Konsument? Das geht bis in ganz banale Entscheidungen hinein: Schreibe ich eine Notiz mit der Hand oder mit einer App? Wie begründe ich vor mir selbst meine Entscheidungen?

Linux erscheint mir in der Nutzung ähnlich wie wir als Teenager waren: Ein wenig verwegen, nicht immer leicht zu gängeln, aber sehr widerstandsfähig. Nicht leicht zu infizieren. Und zuverlässig. Das mag seltsam anmuten, doch wenn meine Erinnerungen an meine Jugend nicht restlos von den Jahren verklärt sind, dann waren wir als Jugendliche zuverlässig. Wir waren gewiss leichtfüßig, unwuchtig, eigensinnig, stur, manchmal vertrottelt und standen sexuell ständig unter Strom – aber wenn wir ein Wort gaben, dann galt das. Nicht bis zur Selbstvernichtung – denn so blöd waren wir dann doch nicht. Aber unsere Resilienz bewirkte in uns eine Art Handschlagqualität, deren Echo ich heute im Umfeld von FOSS stärker und unmittelbarer wahrnehme, als überall anderswo.

Wenn jetzt alle dieselben Social-Media Plattformen verwenden, sich denselben Challenges hingeben, und das alles gratis – wo ist dann die quasi gottgegebene Aufmüpfigkeit der Jugend? Wo die entschlossene Haltung gegen Monopole? Alles weg, weil es im Gleichschritt einfach viel bequemer ist? Ist es der über Jahrzehnte hinweg angezüchteten Gratismentalität geschuldet? Dass nichts mehr irgendetwas kosten darf?

Dabei ist doch der Merksatz so eingängig: Wenn ein Produkt nichts kostet, bist Du nicht der Kunde, sondern Du bist das Produkt. Und jetzt mal ehrlich, selbst wenn man ein armer Student ist, ein Schüler, kann man sich beispielsweise die 12 Euro pro Jahr für einen sicheren Mailanbieter leisten, der sich einen Scheiß für Deine Daten interessiert. Schaut mal zu Posteo oder Mailbox.org. Nehmt Duckduckgo oder Startpage oder Bravesearch als Suchmaschinen. Einen privateren Messenger als WhatsApp, Signal oder Telegram. Man muss nicht dort sein und dort suchen, wo alle suchen und nutzen, was alle nutzen. Öfter mal den Weg nehmen, der weniger begangen ist, mal den unberührten Pfad auswählen. Es gibt hochprofessionelle Alternativen. Linux ist nur eine davon – aber damit kann es anfangen, sich ein Stück Selbstständigkeit und Eigensinn zurückzuholen.