Autor: nathschlaeger

  • Soziale Erschöpfung

    Das Problem

    Auf Bluesky oder X kann man immer öfter lesen, dass die Menschen ausgelaugt sind, sich erschöpft fühlen von all dem, was sie Tag für Tag in ihre Timeline gespült bekommen: menschliche Grausamkeit, politische Infamie, geostrategische Neuausrichtungen, Vertragsbuch, Gemeinheit, Sadismus und Grausamkeit. Alles scheint den Halt zu verlieren, ins Rutschen zu kommen. Es gibt keine Gewissheit mehr, alles ist glitschig und unzuverlässig geworden – so scheint es, wenn man die News verfolgt oder den Social-Media-Algorithmus durch Likes und Lesedauer konditioniert hat. Dabei wollte man doch nur mit der netten Gesellschaft der letzten Geburtstagsparty in Kontakt bleiben, mit der netten Vermietern der Ferienwohnung in Madrid, mit der laut grölenden Partie, mit der man am Strand von Mi Cayito gefeiert hatte. Aber der Radclub. Mein Fischereiverband! Der Reit- oder Fußballclub! Man möchte ja in Kontakt bleiben und kaum ist man auf einer dieser Plattformen wie Facebook, spült es einem schon ungefragt die schlechten Nachrichten in die Zeitleiste und die Leute hauen Dir die üblen Nachrichten mit diesem „Hast Du schon gesehen?“ – Teaser über den Zaun. Na und auf X und Instagram erst.

    Man wollte ja nur socializen, oder?

    Auch auf den eher angenehmen Plattformen wie eben Bluesky oder irgendeiner der zahlreich und gut gewarteten Mastodon-Instanzen, geht es den Leuten auch nicht so gut. Das sind die Nachrichten, die man bekommt. Entweder aus der seriösen, professionellen Presse oder aus den unzähligen Medienkanälen, die filterlos schreiben und behaupten, was auch immer sie wollen, wie sie wollen und in welcher Intensität sie das wollen. Und sie wollen immer laut, alarmistisch und furchterregend.

    Dann tauscht man sich über die Nachrichten aus und erkennt immer und immer wieder, dass man mit diesen Informationen nichts anfangen kann, außer sich zu ärgern, zu fürchten, zu kränken. Die Frage stellt sich mir dann schon seit geraumer Zeit: Warum tu ich mir das an? Welche Erkenntnisse ziehe ich aus diesen Nachrichten? Wie helfen sie mir dabei, in meinem Leben kluge und klügere Entscheidungen zu treffen? Welchen Wert haben Nachrichten, die nur noch betrüben, verängstigen und entmutigen? Um mitreden zu können? Und um dabei noch verdrießlicher zu werden?

    Ein Lösungsansatz

    Ray Bradbury schrieb in seinem Buch Zen in der Kunst des Schreibens von der Begegnung mit einem mexikanischen Bauer auf seinem Feld irgendwo in Mexiko: Wenn Sie einmal wirkliche Poesie hören wollen, dann hören Sie einem mexikanischen Bauer zu, der über seine Arbeit spricht.

    Das löst in mir eine ganze Kette von Gedanken aus, die allesamt erfreulich einfach sind und doch befriedigend:

    • Erfüllung finden in einfacher, harter Arbeit
    • In der Natur arbeiten
    • Stille um einen herum
    • Lieben was man tut
    • Nichts von Socialmedia wissen
    • Oder keinen Bezug dazu haben

    Ich will das Leben eines mexikanischen Bauern nicht verklären, allein schon deshalb, weil ich keinen blassen Schimmer von der Arbeit habe. Und schon gar nicht von einem in den Vierzigern des vorigen Jahrhunderts, als Bradbury durch Mexiko reiste. Doch das Beispiel von Bradbury unterstützt für mich dann doch eine Kette von Rückschlüssen, die zumindest auf poetischer Ebene funktionieren.

    In Zeiten wie heute, da wir lernen, dass die USA und Russland keine verlässlichen Partner (mehr) für uns Europäer sind, ist es sowieso angezeigt, auf Open Source Lösungen umzusteigen, auch, wenn man dadurch viele Kontakte hinter sich zurücklässt. Für wichtiges gibt es ja noch immer Telefon und E-Mail (Mail auch über einen EU-Anbieter).

    Und natürlich kann man sich die Frage stellen, ob es wirklich notwendig ist, über alles zu jeder Zeit und mit jedem kommunizieren zu müssen. Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern in der ersten Wohnung nur ein Vierteltelefon an der Wand hatten, und das schien zu genügen. Natürlich muss man das nicht verklären. Aber die Frage steht nun mal im Raum: Was nützen mir all die modernen Informations- und Kommunikationsmittel, wenn sie mich unzufrieden, traurig und rank machen? Und süchtig nach noch mehr Entmutigung, Angst und Verzagtheit?

    Nein, nicht die Kommunikation aufgeben. Aber selektiver werden in der Frage: Mit wem möchte ich mich über welches Thema austauschen? Und wie?

    Vor gar noch nicht allzu langer Zeit war die Privatheit das höchste Gut eines Menschen und Existenzgrundlage neben einem sicheren Beruf, einem Dach über dem Kopf und Liebe.

    Vor zehn Jahren auf einmal die Kehrtwende: Ist es nicht auf Facebook, ist es nie geschehen.

    Muss das sein? Ich meine, ich frage mich das selbst, weil ich ja zum Teil auch noch auf Socialmedia bin (Bluesky). Vielleicht können wir uns neu orientieren? Den gepflegten Rasen der US-ansässigen Socialmedia-Plattformen verlassen und in die Wildnis ziehen?

  • Selfpublisher und Marginalisierung

    Auf Bluesky gab es unlängst einige Beiträge zum Thema, dass Selfpublisher bei Literaturpreisveranstaltungen kategorisch von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Dazu schreibt ein(e) User(in):

    Jedes Mal, wenn ich wieder sehe, wie #selfpublisher kategorisch aus Literaturpreisen ausgeschlossen werden, möchte ich kotzen. Im Strahl, vor die Füße der Leute, die sowas beschließen. Wie kann man so stehen geblieben sein?

    Und bekommt Zuspruch:

    Sehe ich absolut genauso. Es werden damit auch ganz gezielt marginalisierte Stimmen an den Rand gedrängt, die aus reinem Kalkül auch keine Verlagsverträge bekommen, weil ‚verkauft sich ja nicht‘, selbst wenn das nicht der Wahrheit entspricht

    Ich habe mit dieser „Denke“ so meine Probleme. Für mich sind Verlage nach wie vor die, die meinen Roman zu einem Buch machen. Aus großer Flughöhe betrachtet und ohne zu berücksichtigen, in welcher Qualität die Bücher hergestellt werden. Aus meiner Sicht gehört zu den Aufgaben des Verlags:

    • Das Buch vorzufinanzieren
    • Das Manuskript zu lektorieren und korrigieren
    • Das ganze Buchdesign, Covergestaltung
    • Werbung, Marketing insgesamt

    Selfpublishing ist eine Methode, einerseits selbst für all diese Aufgaben verantwortlich zu sein, wenn man das mag, oder durch Hinzukaufen einzelner Dienstleistungen die Regie über die Entstehung und die Außenwahrnehmung des eigenen Werkes zu führen. Man kümmert sich selbst um:

    • Lektorat, Korrektorat
    • Buchsatz, Bindung
    • Coverdesign

    oder man bezahlt für die Leistungen externer. Und damit komme ich zum Thema Marginalisierung zurück. Die allgemeine Haltung von Autoren, die ihre Werke im Selfpublishing anbieten, ist, dass Selfpublisher vom Buchmarkt marginalisiert werden, weil:

    Das bezieht sich nicht auf eine Art von Literatur, sondern auf Menschen, die Narrative mitbringen, die sich nicht nahtlos in den kapitalistischen Mainstream einfügen und/oder ihre Leserschaft durch Social Media ect. schon mitbringen

    Das ist mir zu abgehoben. Vor allem verklärt es den Umstand, warum es Autoren nicht schaffen, in herkömmlichen Verlagen zu veröffentlichen. Es gibt gerade in Deutschland unzählige Klein- und Mittelverlage, die gerne neue Literatur veröffentlichen. Eine Begründung, doch als Selfpublisher zu veröffentlichen, ist, dass die Kleinverlage alle auf Jahre das Programm voll haben. Andererseits bedeutet das aber auch, dass die Verlage eben junge Autoren unterstützen und fördern und deren Werke verlegen.

    Mir kommt manchmal vor, dass die in den Raum gestellte Marginalisierung von Schriftstellern durch den Literaturbetrieb sehr oft auch als Ausrede dient, nicht veröffentlicht worden zu sein. Extrembeispiel: Junger, schwarzer, schwuler/transgender Autor möchte in einem herkömmlichen Verlag veröffentlicht werden und scheitert. Um sich die Wunden zu lecken (und es tut jedem Schriftsteller weh, nicht genommen zu werden. Jedem), stellt er in den Raum und begründet das auch vor sich selbst, damit, dass er wegen seiner Hautfarbe, seinem Alter, seiner Sexualität, nicht angenommen wurde. Veröffentlicht er nun als Selfpublisher und hat ein wenig Talent in Sachen Marketing und ist vielleicht auch noch sehr hübsch, kann er durchaus Erfolge erzielen. Für ihn und die anderen Selfpublisher scheint klar, dass die Verlage ihn wegen seiner Hautfarbe/Sexualität/Alter/Geschlecht/wasauchimmer marginalisieren und sein Erfolg als Selbstveröffentlicher dies nun entlarvt.

    Ich meine, wie viele hübsche Mädchen und Jungs haben es schon geschafft, dass ihre Romane gedruckt werden, obwohl sie völlig talentlos sind, weil sie eben jung und hübsch waren?

    Und wenn das mit dem Marginalisieren wirklich so ist, werde ich dann auch marginalisiert? Von der Literaturwelt geghostet? Gecancelt, weil ich ein alter, schwuler, weißer Mann bin, der schwule Romane schreibt?

    Und marginalisiert das Selfpublishing letztendlich nicht auch alle, die sich den finanziellen Aufwand nicht leisten können oder leisten wollen? Das ist ja alles summa summarum nicht billig.

    • Lektorat und Korrektorat: ~ 3000 Euro
    • Sensitivity Reading: ~ 4500 Euro
    • Buchsatz, Cover, Design: ~ 6150 Euro
    • Druck: ~ 6850 Euro

    Ein Buch selbst verlegen zu können (und dabei nicht massenhaft Geld zu verlieren) ist ein Privileg, das viele Menschen nicht haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten selbstverlegten Bücher Verlust machen, bis sich die Autor*innen eine eigene Leserschaft aufgebaut haben. Aber bis dahin können locker zwei, drei oder deutlich mehr Bücher vergehen! Das muss man sich leisten können.

    Das ursprüngliche Thema war aber, dass Selfpublisher allem Anschein nach von Literaturpreisveranstaltungen prinzipiell übersehen werden. Mir stellt sich dabei die Frage, woher die Veranstalter von Literaturpreisen von den Werken der Selfpublisher wissen sollen? Meines Wissens reicht ein Verlag das Werk eines ihrer Autoren bei einem solchen Literaturpreis ein. Das macht nicht der Autor selbst. Würden Literaturpreisveranstalter das zulassen, wie viele Hunderttausende Bücher bekämen sie als Einsendungen?

    Und wieso geht man in der Selfpublisherszene davon aus, zwar am Literaturbetrieb vorbeiveröffentlichen zu müssen, als freier und selbstverantwortlicher Autor, andererseits aber dann doch den Wunsch zu haben, von ebendiesem Literaturbetrieb wahrgenommen zu werden?

  • Schwule Literatur

    Ich schreibe schwule Literatur. Also ich meine, ich schreibe auch schwule Literatur. Und wenn ich mich ganz aus diesen Zuschreibungen zurückziehen will, sage ich einfach, ich schreibe Romane. Man könnte das so zusammenfassen: Ich schreibe Romane, die in schwulen Verlagen in Deutschland erscheinen.

    Als mein Gedichtband „Alles besser“ 1998 im Männerschwarm Verlag erschien, las ich einmal, dass es in Literaturdiskussionen hin und wieder die Frage aufgeworfen wird, ob und welche Existenzberechtigung schwule Literatur als Gattung im Literaturkanon eigentlich hat, und eine Antwort darauf war: „So lange es einen Platz für jüdische Literatur gibt, und zwar mit Fug & Recht, so lange gibt es auch einen Platz für schwule Literatur – mit Fug & Recht.“

    Das klingt schlüssig, erklärt aber nicht, was schwule Literatur im Grunde genommen ist. Muss es da immer um Liebe gehen? Zwischen Jungs? Oder zwischen Erwachsenen oder – huch – zwischen alt und jung? Müssen die Protagonisten schwul sein? Muss Sex vorkommen?

    Und ist ein Roman über zwei schwule Dunkelelfen eigentlich noch ein schwuler Roman oder schon Dark Fantasy mit schwulen Szenen?

    Oder genügt es, dass die Story gayfriendly ist, so wie viele Hotels auf Trivago oder einem anderen Portal als #gayfriendly getagged werden?

    Oder anders: Müssen die schwulen Charaktere in den Stories immer gut sein? Oder dürfen das auch mal richtige Arschgeigen sein? Oder dumm und geschmacklos?

    Ich habe für mich den Zugang gefunden, dass es darauf ankommt, wie stark der Fokus des Erzählers auf schwule Facetten gerichtet ist. Der Blickwinkel. Bei mir ist es ja so, dass die handelnden Personen unter Umständen gar nicht schwul sind, aber auch kein Problem damit haben, wenn es mal dazu kommt. Auf Kuba hat mir ein kubanischer Student in einer trunkenen Nacht unter dem Mond von Havanna gesagt, man nenne die Bereitschaft, auf beiden Seiten des Ufers zu fischen, sexuell liquid zu sein. Man fließt und nimmt mit, was sich mitnehmen lässt und was taugt.

    Das halte ich generell für eine sehr Weise und freundlich. hedonistische Sichtweise. Kritiker beschreiben manchmal, meine Figuren stünden sexuell ständig unter Strom. Ich sehe es ein wenig anders – natürlich. Meine Figuren hadern nicht mit ihrer Sexualität noch hadern sie mit sich selbst. Ich habe mich nie in der Lage gesehen, intensiver über Menschen zu schreiben, die von sich selbst über die Maßen herausgefordert werden. In meinen Romanen werden die handelnden Personen von allem möglichen herausgefordert und bedrängt, in Angst und Schrecken versetzt, nicht aber von ihrer eigenen Sexualität. Deshalb fallen bei mir in so ziemlich allen Romanen die Versatzstücke „üblicher“ schwuler Literatur weg: Erste Liebe, Coming out. Wie man in meinem neuesten Roman Piero X lesen kann, romantisiere ich auch nicht junge Schwule: Piero ist nur am Anfang verwirrt und dass man ihm die Verwirrtheit bis weit über die Mitte des Romans abkauft, ist seinem verschlagenen Schatten anzurechnen.

    In Auf dieser Frequenz wird ein junger Schwarzer in die Situation gebracht, dass er sich mit einem seiner Entführer, einem jungen Esten, auf Sex einlässt, um eine Situation zu schaffen, die ihm die Flucht aus der Gefangenschaft ermöglicht. Was mich an der Szene interessiert hat, war, wie zwei Menschen aneinander vorbei empfinden. Die Gefühlswelt auszuloten, zwischen zwei Menschen, die sich aufeinander einlassen, auch unter widrigsten Umständen, das hat mich immer interessiert.

    Aber nochmal: Was ist schwule Literatur? Wenn zwei Typen sich ineinander verlieben, Sex haben? Oder ist es einfach das schlüpfrige Setting, wenn es denn schlüpfrig ist? Ist es denn wert, hervorgehoben zu werden, dass es im Roman (auch) Schwule gibt?

    Wenn ich der Prämisse folge, dass in einem Roman nichts drin stehen soll, das nicht dazu beiträgt, die Geschichte voranzutreiben und besser verständlich zu machen, wenn man die Anteilnahme der Lesenden fordern und fördern will, dann ist ein schwuler Roman dann wohl der, in dem das schwule Element kein Beiwerk ist, keine Dekoration, Staffage, sondern untrennbar mit der Geschichte verwoben, die erzählt wird.

    Wenn man durch die Art der Geschichte darauf hinweist, beleuchtet und unterstreicht, dass es schwule Liebe gibt. Dass Liebe und Sex sich über die Geschlechter erheben, auch wenn wir in einem sprachlichen Gefängnis zu leben scheinen, das Sex in ein normatives Korsett zwängt.

    Mit ein wenig líquido sexual kann man wie Wasser aus diesem Sprachgefängnis fließen. Das versuche ich mit jedem Buch, das ich schreibe, aufs Neue.