Der Sturmgondoliere

Paolo Meduccini war kein gewöhnlicher Junge. Er sauste mit seinem scheppernden Fahrrad schneller als alle anderen Kinder aus Montaione die toskanischen Hügel hinab, war der Mittelpunkt seiner Clique, träumte fliegen zu können wie ein Flugzeug, roch nach Karamellbonbons und Heu – und immer wieder umhüllte ihn eine seltsame, betrübliche Leere.

An einem heißen Sommertag verliebte sich Julia in diesen Jungen, genau an dem Tag, an dem auch der fremde Lucian in Paolos Leben trat. Eine Begegnung mit verheerenden Folgen. Der Sommer 1979 in der Toskana sollte der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen werden. Ein Sommer, angefüllt mit Träumen, Ölbildern, Geheimnissen, Lügen und der Legende vom Sturmgondoliere, der mit Blitz und Donner gesegelt kommt und die Menschen das Fürchten lehrt.

Zehn Jahre später, unter einem ähnlichen Gewitterhimmel, wird Paolo Meduccini in eine Katastrophe und ein Wunder gleichermaßen verwickelt: Als Einziger überlebt er den Absturz eines Flugzeugs beim Landeanflug auf Wien. Aber ist er es wirklich? Oder versucht ein Hochstapler seine Fäden zu ziehen?

Die Psychologin Graszyna Zanger und der Ermittler Frank Reinhard folgen einer verwirrenden Spur und ihre Recherchen führen sie in das idyllische Montaione. Was sie dort jedoch entdecken, ist eine Tragödie, die sie an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft bringt.

Meinungen

Peter Nathschläger beherrscht das Schreiben als wäre es Weberei, eine der ältesten Techniken zur Herstellung von Flächenbildern, um eine zutiefst menschliche Geschichte über die Sünden der Eltern zu erzählen. Das Wissen um verlorene Chancen und die Suche nach Erlösung bilden die vorgespannten Kettfäden. Die Möglichkeit der Versöhnung wird zum Schussfaden, der sich, rechtwinklig kreuzend, durch die gesamte Webbreite zieht. Das Ergebnis ist dieser höchst stoffliche Roman mit toskanischen Bildern, gewitterhaltigem Himmel und hoffnungsstrahlenden Gedanken. Ein Abbild des Lebens selbst. Das erträumte, das versäumte, das erduldete, das heutige Leben.

Sewastos Sampsounis

Ein melancholischer aber doch hoffnungsvoller Grundton bestimmt das Buch, eine wehmütige, flüchtige Erinnerung an endlose Sommertage in der Toskana, an Möglichkeiten, Wünsche, Hoffnungen und Träume, an Lebendigkeit und Freude, eine wärmende, eine liebende Umarmung…

Ein ganz besonderes Buch, das nachklingt und zum erneuten Lesen einlädt.

Jamamashid, Amazon

Das Besondere an dem Roman ist für mich zum einen die subtropisch gehaltene Atmosphäre. Der Text ist erzählt, als befände ich mich im Regenwald – nur die beiden „Ermittler“ kommen mir irgendwie etwas nordisch-trocken daher. Zum anderen beeindruckt mich seine menschliche Tiefe. Die Auflösung der sehr spannungsorientiert erzählten Geschichte, die Lüftung des Geheimnisses, ist noch nicht das Ende. Es wird nach Ursachen, Beziehungen, Verletzungen gesucht. Die seltsame Art einer schillernden Wirklichkeit, in der Paolo und Lucian ihren Mitmenschen erscheinen, lassen die Frage aufkommen: „Was ist Realität“?

Auf einer tieferen Ebene geht es um die Konstruktion von Wirklichkeit, die immer wieder neu erfolgt, in mehreren Schichten, aus mehreren Perspektiven.

Der „Sturmgondoliere“ ist aber nicht in erster Linie philosophisch, er ist vor allem märchenhaft und voller Empfindungen.

Suzanna, Amazon

Nathschläger neigt dazu, dramaturgisch ein wenig dick aufzutragen. Aber er kann schreiben – und daher empfehlen wir diese ein wenig gespenstische, ein bisschen tragische Geschichte ganz entschieden!
(Thomas Ott, „Katalog der schwulen Buchläden“ Sommer 2016)

Die Musik und das Bild

Als ich die Szene schrieb, in der Paolo das erste Mal erscheint, auf seinem Fahrrad, ob auf dem Hügel, unter dem stürmischen Himmel, hatte ich einen Song von Sebastien Tellier im Ohr: Delta Romantica

Viel später, erst vor ein paar Tagen, nahm ich mir die Zeit und habe mit KI (perchance.org) ein Bild erstellt, das meiner Vorstellung von Paolo und der Szene doch recht nahe kommt.