
Ich schreibe schwule Literatur. Also ich meine, ich schreibe auch schwule Literatur. Und wenn ich mich ganz aus diesen Zuschreibungen zurückziehen will, sage ich einfach, ich schreibe Romane. Man könnte das so zusammenfassen: Ich schreibe Romane, die in schwulen Verlagen in Deutschland erscheinen.
Als mein Gedichtband „Alles besser“ 1998 im Männerschwarm Verlag erschien, las ich einmal, dass es in Literaturdiskussionen hin und wieder die Frage aufgeworfen wird, ob und welche Existenzberechtigung schwule Literatur als Gattung im Literaturkanon eigentlich hat, und eine Antwort darauf war: „So lange es einen Platz für jüdische Literatur gibt, und zwar mit Fug & Recht, so lange gibt es auch einen Platz für schwule Literatur – mit Fug & Recht.“
Das klingt schlüssig, erklärt aber nicht, was schwule Literatur im Grunde genommen ist. Muss es da immer um Liebe gehen? Zwischen Jungs? Oder zwischen Erwachsenen oder – huch – zwischen alt und jung? Müssen die Protagonisten schwul sein? Muss Sex vorkommen?
Und ist ein Roman über zwei schwule Dunkelelfen eigentlich noch ein schwuler Roman oder schon Dark Fantasy mit schwulen Szenen?
Oder genügt es, dass die Story gayfriendly ist, so wie viele Hotels auf Trivago oder einem anderen Portal als #gayfriendly getagged werden?
Oder anders: Müssen die schwulen Charaktere in den Stories immer gut sein? Oder dürfen das auch mal richtige Arschgeigen sein? Oder dumm und geschmacklos?
Ich habe für mich den Zugang gefunden, dass es darauf ankommt, wie stark der Fokus des Erzählers auf schwule Facetten gerichtet ist. Der Blickwinkel. Bei mir ist es ja so, dass die handelnden Personen unter Umständen gar nicht schwul sind, aber auch kein Problem damit haben, wenn es mal dazu kommt. Auf Kuba hat mir ein kubanischer Student in einer trunkenen Nacht unter dem Mond von Havanna gesagt, man nenne die Bereitschaft, auf beiden Seiten des Ufers zu fischen, sexuell liquid zu sein. Man fließt und nimmt mit, was sich mitnehmen lässt und was taugt.
Das halte ich generell für eine sehr Weise und freundlich. hedonistische Sichtweise. Kritiker beschreiben manchmal, meine Figuren stünden sexuell ständig unter Strom. Ich sehe es ein wenig anders – natürlich. Meine Figuren hadern nicht mit ihrer Sexualität noch hadern sie mit sich selbst. Ich habe mich nie in der Lage gesehen, intensiver über Menschen zu schreiben, die von sich selbst über die Maßen herausgefordert werden. In meinen Romanen werden die handelnden Personen von allem möglichen herausgefordert und bedrängt, in Angst und Schrecken versetzt, nicht aber von ihrer eigenen Sexualität. Deshalb fallen bei mir in so ziemlich allen Romanen die Versatzstücke „üblicher“ schwuler Literatur weg: Erste Liebe, Coming out. Wie man in meinem neuesten Roman Piero X lesen kann, romantisiere ich auch nicht junge Schwule: Piero ist nur am Anfang verwirrt und dass man ihm die Verwirrtheit bis weit über die Mitte des Romans abkauft, ist seinem verschlagenen Schatten anzurechnen.
In Auf dieser Frequenz wird ein junger Schwarzer in die Situation gebracht, dass er sich mit einem seiner Entführer, einem jungen Esten, auf Sex einlässt, um eine Situation zu schaffen, die ihm die Flucht aus der Gefangenschaft ermöglicht. Was mich an der Szene interessiert hat, war, wie zwei Menschen aneinander vorbei empfinden. Die Gefühlswelt auszuloten, zwischen zwei Menschen, die sich aufeinander einlassen, auch unter widrigsten Umständen, das hat mich immer interessiert.
Aber nochmal: Was ist schwule Literatur? Wenn zwei Typen sich ineinander verlieben, Sex haben? Oder ist es einfach das schlüpfrige Setting, wenn es denn schlüpfrig ist? Ist es denn wert, hervorgehoben zu werden, dass es im Roman (auch) Schwule gibt?
Wenn ich der Prämisse folge, dass in einem Roman nichts drin stehen soll, das nicht dazu beiträgt, die Geschichte voranzutreiben und besser verständlich zu machen, wenn man die Anteilnahme der Lesenden fordern und fördern will, dann ist ein schwuler Roman dann wohl der, in dem das schwule Element kein Beiwerk ist, keine Dekoration, Staffage, sondern untrennbar mit der Geschichte verwoben, die erzählt wird.
Wenn man durch die Art der Geschichte darauf hinweist, beleuchtet und unterstreicht, dass es schwule Liebe gibt. Dass Liebe und Sex sich über die Geschlechter erheben, auch wenn wir in einem sprachlichen Gefängnis zu leben scheinen, das Sex in ein normatives Korsett zwängt.
Mit ein wenig líquido sexual kann man wie Wasser aus diesem Sprachgefängnis fließen. Das versuche ich mit jedem Buch, das ich schreibe, aufs Neue.