Das Problem

Auf Bluesky oder X kann man immer öfter lesen, dass die Menschen ausgelaugt sind, sich erschöpft fühlen von all dem, was sie Tag für Tag in ihre Timeline gespült bekommen: menschliche Grausamkeit, politische Infamie, geostrategische Neuausrichtungen, Vertragsbuch, Gemeinheit, Sadismus und Grausamkeit. Alles scheint den Halt zu verlieren, ins Rutschen zu kommen. Es gibt keine Gewissheit mehr, alles ist glitschig und unzuverlässig geworden – so scheint es, wenn man die News verfolgt oder den Social-Media-Algorithmus durch Likes und Lesedauer konditioniert hat. Dabei wollte man doch nur mit der netten Gesellschaft der letzten Geburtstagsparty in Kontakt bleiben, mit der netten Vermietern der Ferienwohnung in Madrid, mit der laut grölenden Partie, mit der man am Strand von Mi Cayito gefeiert hatte. Aber der Radclub. Mein Fischereiverband! Der Reit- oder Fußballclub! Man möchte ja in Kontakt bleiben und kaum ist man auf einer dieser Plattformen wie Facebook, spült es einem schon ungefragt die schlechten Nachrichten in die Zeitleiste und die Leute hauen Dir die üblen Nachrichten mit diesem „Hast Du schon gesehen?“ – Teaser über den Zaun. Na und auf X und Instagram erst.
Man wollte ja nur socializen, oder?
Auch auf den eher angenehmen Plattformen wie eben Bluesky oder irgendeiner der zahlreich und gut gewarteten Mastodon-Instanzen, geht es den Leuten auch nicht so gut. Das sind die Nachrichten, die man bekommt. Entweder aus der seriösen, professionellen Presse oder aus den unzähligen Medienkanälen, die filterlos schreiben und behaupten, was auch immer sie wollen, wie sie wollen und in welcher Intensität sie das wollen. Und sie wollen immer laut, alarmistisch und furchterregend.
Dann tauscht man sich über die Nachrichten aus und erkennt immer und immer wieder, dass man mit diesen Informationen nichts anfangen kann, außer sich zu ärgern, zu fürchten, zu kränken. Die Frage stellt sich mir dann schon seit geraumer Zeit: Warum tu ich mir das an? Welche Erkenntnisse ziehe ich aus diesen Nachrichten? Wie helfen sie mir dabei, in meinem Leben kluge und klügere Entscheidungen zu treffen? Welchen Wert haben Nachrichten, die nur noch betrüben, verängstigen und entmutigen? Um mitreden zu können? Und um dabei noch verdrießlicher zu werden?
Ein Lösungsansatz
Ray Bradbury schrieb in seinem Buch Zen in der Kunst des Schreibens von der Begegnung mit einem mexikanischen Bauer auf seinem Feld irgendwo in Mexiko: Wenn Sie einmal wirkliche Poesie hören wollen, dann hören Sie einem mexikanischen Bauer zu, der über seine Arbeit spricht.
Das löst in mir eine ganze Kette von Gedanken aus, die allesamt erfreulich einfach sind und doch befriedigend:
- Erfüllung finden in einfacher, harter Arbeit
- In der Natur arbeiten
- Stille um einen herum
- Lieben was man tut
- Nichts von Socialmedia wissen
- Oder keinen Bezug dazu haben
Ich will das Leben eines mexikanischen Bauern nicht verklären, allein schon deshalb, weil ich keinen blassen Schimmer von der Arbeit habe. Und schon gar nicht von einem in den Vierzigern des vorigen Jahrhunderts, als Bradbury durch Mexiko reiste. Doch das Beispiel von Bradbury unterstützt für mich dann doch eine Kette von Rückschlüssen, die zumindest auf poetischer Ebene funktionieren.
In Zeiten wie heute, da wir lernen, dass die USA und Russland keine verlässlichen Partner (mehr) für uns Europäer sind, ist es sowieso angezeigt, auf Open Source Lösungen umzusteigen, auch, wenn man dadurch viele Kontakte hinter sich zurücklässt. Für wichtiges gibt es ja noch immer Telefon und E-Mail (Mail auch über einen EU-Anbieter).
Und natürlich kann man sich die Frage stellen, ob es wirklich notwendig ist, über alles zu jeder Zeit und mit jedem kommunizieren zu müssen. Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern in der ersten Wohnung nur ein Vierteltelefon an der Wand hatten, und das schien zu genügen. Natürlich muss man das nicht verklären. Aber die Frage steht nun mal im Raum: Was nützen mir all die modernen Informations- und Kommunikationsmittel, wenn sie mich unzufrieden, traurig und rank machen? Und süchtig nach noch mehr Entmutigung, Angst und Verzagtheit?
Nein, nicht die Kommunikation aufgeben. Aber selektiver werden in der Frage: Mit wem möchte ich mich über welches Thema austauschen? Und wie?
Vor gar noch nicht allzu langer Zeit war die Privatheit das höchste Gut eines Menschen und Existenzgrundlage neben einem sicheren Beruf, einem Dach über dem Kopf und Liebe.
Vor zehn Jahren auf einmal die Kehrtwende: Ist es nicht auf Facebook, ist es nie geschehen.
Muss das sein? Ich meine, ich frage mich das selbst, weil ich ja zum Teil auch noch auf Socialmedia bin (Bluesky). Vielleicht können wir uns neu orientieren? Den gepflegten Rasen der US-ansässigen Socialmedia-Plattformen verlassen und in die Wildnis ziehen?