Blog

  • Fritz the cat

    Das ist zwar ein Surfer auf Gran Canaria am Strand von Las Palmas, aber die Ähnlichkeit mit Fritz ist überwältigend …

    Sommer 1980

    Wenn es je einen Jungen gab, der den Spitznamen „Fritz the cat“ verdient hatte, dann Fritz Kling. Ich lernte ihn im Sommer 1980 am Rande des Fußballfeldes von Biedermannsdorf kennen, wo er im Schatten alter Bäume saß und in der hohlen Hand rauchte. Da war er dreizehn Jahre alt, ich war gerade 15. Obwohl ich damals noch nichts vom Geschichtenschreiben wusste, oder davon, wie man Musik macht, obwohl ich damals mehr reaktiv war als besonnen, löste er in mir den Wunsch auf, meine Gedanken und Gefühle ihm gegenüber festzuhalten. Was mir neben seiner beinahe engelhaften Schönheit besonders intensiv auffiel, war seine Ernsthaftigkeit in allem, was er tat, plante, vorhatte und empfand. Fritz blödelte gerne, er war närrisch und lebendig wie ein Blitzschlag. Aber wenn es um Dinge ging, die außerhalb des Jux & Tollerei-Rahmens lagen, zeigte er eine vertrauliche Ernsthaftigkeit, die mir fremd war und die mich ganz tief und ehrlich ansprach. Ich mochte ihn und ich wollte, dass er mich mochte. Was ihm besser gelang als mir selbst, war, durch meine Schutzmauer zu blicken und das zu sehen, was ich wirklich war: ein schlaksiger, verletzlicher Träumer und Narr. Einer, der unsicher war und neu im Ort. Ein Außenseiter, wenn es je einen gegeben hat.

    Er nahm mich an und seine Freundschaft war ebenso unaufdringlich wie still und ernst. Und aufrichtig.

    Yilmaz und Fritz the cat

    Yilmaz war ein fünfzehnjähriger Junge, der Haare auf der Brust hatte und sich rasierte, weil er nicht mit einem Vollbart herumrennen wollte. Er und Fritz trieben sich eigentlich immer im Freien herum. Sie hatten kein Geld für Lokalbesuche oder um beim Greißler des Ortes Bier zu kaufen. Sie kratzten ihr Taschengeld zusammen und kauften sich Zigaretten: HobbySmart ExportFlirt. Das Billigste vom Billigen. Sie waren aus der Not heraus reine Naturburschen geworden, und als ich mich ihnen anschloss, ging das von einem Tag auf den anderen und völlig unprätentiös: Am Tag zuvor war ich noch allein und fand mich nicht zurecht, am nächsten hatte ich Freunde. Wir zogen über die Felder, halfen Fischern bei den Vösendorfer Ziegelteichen und verdienten uns so ein wenig Taschengeld dazu, mit dem wir Bier kauften. Damit zogen wir uns in eine der Jägerhochstämme zwischen Biedermannsdorf und Achau zurück, kappselten die Bierflaschen auf, rauchten Zigaretten, und redeten oder schwiegen. Das war unser Geruch: Rauch von Lagerfeuer, gegrillte Maiskolben, Zigaretten und unendlich viel frische Luft.

    Sie zeigten mir, wie man auf einen der alten Betonsilo klettern konnte, um dort oben unbeobachtet zu rauchen, wie man Biedermannsdorf auf den Feldwegen umrunden konnte, wo im wilden Unterholz beim Teich einmal ein sterbender Wolf gefunden worden war (was ich für eine Legende hielt). Sie zeigten mir im Waldstück zwischen Biedermannsdorf und Wiener Neudorf das alte, lange Seil, an dem man sich über das ausgetrocknete Bachbett schwingen konnte. Ich lud sie zu mir ein und meine Eltern machten verschnupfte Nasenlöcher, weil sie die Jungs irgendwie „gefährlich“ fanden. Wildlinge wie mein Vater sie nannte. Nach einer Weile akzeptierten sie die beiden – vor allem wohl deshalb, weil wir genau genommen nichts anstellten, nichts wirklich Blödes. Wenn wir Geld hatten, gingen wir zu einem der drei Heurigen, die es im Ort gab, und tranken Ribislwein, und wer den schon mal getrunken hat, weiß, wie das Zeug einfahren kann. Betrunken zu werden, war Anfang der Achtziger eine ziemlich billige Angelegenheit.

    Fritz lebte allein mit seiner Mutter, sein älterer Bruder war im Gefängnis. Seine Mutter erschien mir immer abweisend, hart und lieblos. Yilmaz wohnte mit seiner Familie in einem Anbau des Borromäums. Sehr beengte Räumlichkeiten, große Familie, eine traurige Mutter und ein Vater, der mit der Couch verwachsen war. Wir waren, lange bevor es so etwas im Kino gab, verlorene Jungs. Verlierer. Und deshalb war es so wichtig, dass wir einander hatten.

    Der Schatten geheimer Träume

    Fritz war älter als sein Taufschein es vermuten ließ. Er war 1981 vierzehn Jahre alt und auf eine ziemlich wilde Art & Weise hübsch. Er war muskulös und graziös wie ein Raubtier. Und er war sich dessen kein bisschen bewusst. Mich wunderte immer wieder, wie vollkommen uneitel er war und wie ihm eine Rangelei unter Freunden wichtiger sein konnte, als einfach nur statuenhaft schön zu sein. Ich erklärte mir das damit, dass Fritz entweder (noch) nichts von Sex wusste, oder vollkommen heterosexuell war und einfach noch nicht so weit, die Verbindung herzustellen zwischen äußerlicher Attraktion und der Suche nach sinnlicher Nähe.

    Ich war um zwei Jahre älter und ich verdrängte die Träume, ihm nahe zu sein, wann immer sie auftauchten, und es war mir fast eine Erleichterung, als sich meine sexuelle Aufmerksamkeit im Sommer 81 auf Walter Kroboth bündelte wie ein Lichtstrahl. So konnte ich weiter mit Fritz auf den Feldwegen herumziehen, um die Wette zu rülpsen oder einfach nur die Nähe zu genießen. Er roch sogar im Winter immer irgendwie nach Sommer. Nach Heu und Feldern und nach Regen, nach Lagerfeuer. Ihm haftete auch dieser süße Naturwassergeruch an, wie Wassermelone. Damals nahm ich das nicht wahr, aber ich denke doch, dass Fritz und Yilmaz gekränkt waren, als ich immer öfter versuchte, Teil der Clique zu werden, zu der auch Walter Kroboth gehörte, weil er mich unwiderstehlich mit seiner erotischen Schwerkraft anzog. So dachte ich damals nicht. Ich handelte nur, suchte Walters Nähe und malte mir aus, wie es wäre, ihn zu küssen und ihm zwischen die Beine zu greifen und zu spüren, wie er hart wurde. Teenagerträume. Auf irgendeiner Ebene verstand Fritz sehr gut, was mit mir los war, aber er machte nie ein Thema daraus.

    Als wir einmal bei einem Treffen der Pfarrjugend dabei waren und eingeladen wurden, uns bei einem Gemeinschaftsspiel zu beteiligen, stellten wir fest, dass wir beide aneinander dasselbe mochten: Keiner von uns beiden machte sich je über andere Menschen lustig. Wir verspotteten niemanden. Wir waren jugendliche Pragmatiker, könnte man sagen. Wie viele andere Jugendliche, die in kleinen Ortschaften aufwuchsen oder ihre Teenagerjahre dort verbrachten, hatten wir nicht viel zu tun. Deshalb erinnere ich mich jetzt ganz besonders deutlich, was uns in dieser Zeit, in diesem Jahr, bevor Sex, Mädchen, Lehrberuf und erste Träume vom eigenen Auto wichtig wurden, erfüllte. Es war die Nähe, die nichts verlangte und alles gab. Es war die Selbstverständlichkeit, dass wir da waren, die Vertrautheit, mit der wir den Atem des anderen kannten, das Herzpochen und den Geruch vom Schweiß, den Geruch der Kleidung. Wir waren uns vollkommen vertraut – nach kürzester Zeit ineinander verschränkt wie zwei Bäume auf einem einsamen Feld, die ineinander verwachsen sind.

    Wie ein hingekritzeltes Fragezeichen

    Ich glaube, es war im Sommer 1983, da zog Fritz mit seiner Mutter aus Biedermannsorf weg in das Bundesland Burgenland. Im Herbst desselben Jahres wurde der Anbau des Borromäums geschliffen, in dem Yilmaz mit seiner Familie gelebt hatte, und sie zogen nach Wien. Ich stand auf einmal allein da, ich meine, so richtig allein. In den vergangenen zwei Jahren hatte ich auch andere Jugendliche in Biedermannsdorf kennengelernt, mit denen ich mich gut verstand. Da gab es sozusagen eine andere Außenseiterclique, auch irgendwie verlorene Jungs, und gleichzeitig machte ich meine ersten Gehversuche in der elektronischen Musik. Ich hatte um mein erspartes Lehrgeld Synthesizer gekauft und einen Drumcomputer und ein Hallgerät und wir probten in der Nachbargemeinde Achau im Keller eines Familienhauses, wo wir während der Sessions, in denen wir den Stil von Klaus Schulze und Tangerine Dream kopierten, wie die Weltmeister kifften. Das waren damals Klaus Giwiser, Reinhold Atlas und ich. Ich nahm beim jungen Kirchenorganisten Unterricht in Spieltechnik, Komposition und Harmonienlehre und stellte mich dabei nicht ganz dumm an. Das alles hielt mich auf Trab und wenn ich in den Nächten im frühen Herbst von der Probe von der Achau nach Biedermannsdorf unter dem vollen Mond nach Hause ging, wünschte ich mir mit schmerzlicher Intensität Fritz und Yilmaz zurück, die wie Schiffe in der Nacht davongetrieben waren. Ich sang mit meiner krächzenden, vom Kiffen schiefen Stimme „Be my friend“ und manchmal blieb ich stehen, schlug die Hände vors Gesicht, kauerte mich in den Straßengraben, damit mich niemand sehen konnte und heulte. Eh nur wegen der Kifferei, klar?

    Das Fundament meiner Ideale

    Walter Kroboth war die erste Liebe meines Lebens und die erste herbe Enttäuschung. Fritz aber war für mich das Fundament, auf dem ich meine Ideale für Freundschaft errichtete. Niemand konnte so viel geben wie er, ohne sich dabei wie einer zu benehmen, der gab. Er war einfach da. Er war immer vollkommen da. Und deswegen wird mich die Erinnerung an ihn mein Leben lang begleiten.

    Er hat mich geprägt.

  • Walter Kroboth

    Im Sommer 1981 verliebte ich mich in den schönsten Jungen von Biedermannsdorf. Walter Kroboth war von einer geradezu tragischen, ungarischen Wildheit und Eleganz, ohne sich dessen bewusst zu sein. Vielleicht war er sich dieser Qualitäten doch bewusst, auf einer abstrakten Ebene.

    Ich taumelte in diesen Tagen nach dem Tod meines Bruders wie ein angeschlagener Boxer durchs Leben, war im zweiten Lehrjahr in den Dekorationswerkstätten der Bundestheater und die aufwendigen Routinen gaben mir Halt und Orientierung. Jeden Wochentag stand ich um 04:45 auf, wusch mich, putzte mir die Zähne, trank kalten Kakao und fuhr mit dem Postbus um 05:19 von Biedermannsdorf nach Wien, zum Südtirolerplatz. Die Dekorationswerkstätten befanden sich im Arsenal (wo sie auch heute noch sind, glaube ich). Wirkliche Freunde, wie ich sie am Arbeitsplatz fand (Grüße an Roman, Alexander, Karl und Max) taten mir gut und halfen mir, den Umstieg vom Wiener Jungen, der einen Bruder verloren hatte, zum Neuen in der Dorfjugend einer kleinen Gemeinde im Süden Wiens zu vollziehen.

    Walter hatte ich schon im Sommer 1980 gesehen, konnte ihn aber nicht zuordnen. Meine Seelenfreunde in Biedermannsdorf wurden die beiden Außenseiter Fritz und Yilmaz. Fritz wohnte bei seiner Mutter in einem alten, heruntergekommenen Kutscherhof auf der Ortsstraße, Yilmaz wohnte mit seiner Familie in einem Anbau des verlassenen Borromäums, das später, ich glaube 1983 oder 1984, zu einer Mädchenschule wurde.

    Mein Halt war also durch Freundschaften gegeben, die sich nicht berührten. Da die Jungs, mit denen ich gemeinsam in die Lehre ging, und in Biedermannsdorf, das in der Sommerhitze dunstete und schwieg, Fritz und Yilmaz.

    Dann, im Mai oder im Juni, als wir anfingen, jeden Tag, an dem es warm genug war, im Gemeindeteich von Biedermannsdorf zu schwimmen (und heimlich Zigaretten zu rauchen), erschien Walter. Es gab damals einen Lieblingsplatz an diesem wilden Teich, wo sich die Jugendlichen trafen. Yilmaz und Fritz waren locker in die Dorfjugend eingebunden, aber eben nur locker. Walter war anders verankert; er wollte nicht nur der Fußballer sein, der er war, mit all seinem sportlichen und schauspielerischen Können (niemand konnte sich so dramatisch fallen lassen und sich das Schienbein halten wie Walter, wenn er im Spiel gefoult wurde). Da staubte es und er sank mit einem wehen Seufzer zu Boden, und starb vor den zusehenden Mädchen und ich stand neben den Mädchen und war eifersüchtig darauf, wie sehr er sich um deren Interesse bemühte, wo ich es doch war, der ihm aufhelfen und ihn küssen wollte, bis die Sonne unterging), er wollte zu der „gehobenen“ Ortsjugend gehören.

    Walter kam zum Teich und ich sah ihn zum ersten Mal in der schwarzen, knapp geschnittenen Badehose. Mir gefiel Walter ja schon in seinem Straßenoutfit: Er trug im Sommer ziemlich enge, ausgewaschene Jeans von Wrangler, High Tops von Adidas, weiße Tanktops und Jeansjacken. Walter war schon Anfang Mai brauner als wir anderen und sein abenteuerliches Lächeln zeigte perfekte, weiße Zähne. Er war biegsam und schnell in allem, was er tat und er war … sexy.

    Ich war sechzehn und meine intimen Vorstellungen in jenen Tagen gingen nicht über ernste, tiefe und glückliche Blicke hinaus. Und ich wollte Walter küssen, ich wollte, dass er mich küsst und er mich ungeschickt umarmt und dass sein schiefes Grinsen nur mir gehört, ich wollte in seinem Geruch sein und ihn in meiner Hitze einfangen; sexuelle Wunschvorstellungen hatte ich damals nicht. Ich wollte einfach, dass wir uns beide in einem Glücksrausch auflösen und neu zusammensetzen, wild lachend vor Glück. Zwei Jungen, die rennen, schwitzen und schwimmen, sich umarmen und irgendwie miteinander zum Orgasmus kommen, ohne dabei den dunklen Wald der Unanständigkeit zu betreten.

    Ich war furchtbar idealistisch, was das betraf, und Walter wusste nichts von meiner Schwärmerei für ihn. Vielleicht spürte er es, vielleicht auch nicht. Aus seiner Sicht war ich nicht mehr als ein anderer Junge aus Biedermannsdorf, ein Neuer, der sich mit zwei Außenseitern herumtrieb, während er darum bemüht war, Zugang zu den besseren Kids zu finden, vor allem, weil dort die Mädchen waren, die ihm gefielen. Walter war durch und durch hetero. Ich denke, er war so hetero, der wäre sogar vor Wut an die Decke gegangen, wenn ihm ein Bursche nach dem Fußballspiel in der Umkleide ein feuchtes Badetuch auf den Arsch geklatscht hätte. Er war nicht nur an Mädchen interessiert, und zwar sehr, es war ihm auch wichtig, dass alle das sahen und wussten.

    Walter liebte hymnische Musik; der Musikgeschmack der Biedermannsdorfer Jugend Anfang der Achtziger wurde intensiv von den Gebrüdern Lugerbauer geprägt. Vor allem vom ältesten der Brüder, von Alfred: Yes, Mike Oldfield, Tangerine Dream, Rick Wakeman, Vangelis …

    Walter mochte Hymn von Rick Wakeman aus dem Album 1984 und tanzte dazu wie ein wildgewordener Indianer

    Und Hymn von Ultravox

    • Ein trauriges Lied, das uns beiden gut gefiel, war Be my friend von No bros. Der einzige Hit, den diese Gruppe aus Wien je hatte:

    Und wenn wir trunken mit den anderen aus dem Ort nachts am Seeufer saßen, sangen wir Take the long way home von Supetramp

    Dann kam der August, die Tage waren heiß und so schwer wie Steine. Die Dekorationswerkstätten, in denen ich in die Lehre ging, hatten über die Sommermonate Juli und August geschlossen, ich lebte im ewigen Sommerurlaub, ging jeden Tag schwimmen, fuhr mit dem Fahrrad gemeinsam mit Yilmaz und Fritz zur Shoppingcity Süd, wo wir uns treiben ließen und, wenn wir ausreichend Geld mit hatten, Cola kauften und uns wie die Herren der Welt fühlten.

    An einem Samstag trafen Walter und ich uns eher zufällig in der Jubiläumshalle von Biedermannsdorf, setzten uns an einen Tisch und tranken Bier. Meine Sehnsucht dampfte mir aus allen Poren. Wir tranken noch mehr Bier und ich zerfloss vor Begierde, ihn zu berühren, seine Lippen auf meinen zu spüren, eine intime und verbindliche Nähe herzustellen, die für alle Zeit Gültigkeit hatte. Natürlich griff ich ihn nicht an, aber er fragte mich, warum ich ihn so ansehe, und er tat das so freundlich und kumpelhaft, dass ich den Mut fand und sagte, ganz leise, ein Hauch mehr als ein Flüstern: “Ich würde dich einfach gerne küssen, Walter! Ich würde ur-gern mit dir – ich weiß nicht.” Etwas Originelleres fiel mir nicht ein. Ich war sechzehn, leicht betrunken und voll nervös, okay?

    Er sah mich irritiert an, keineswegs feindselig, legte den Kopf schief und sagte in etwa: “Pfau Oida, über des muass i erst nochdenken!”

    Er sagte nicht: Geh scheißen, du warme Sau. Er sagte nicht: Bist deppert, Schwuler! Er sah mich nur durchs Bier milde gestimmt mit seinen schweren ungarischen Augen an und meinte, darüber müsse er erst nachdenken. Jedenfalls war damit das Thema vom Tisch, wir tranken noch ein Bier und als wir in der sternenklaren Dunkelheit über die Ortstraße gingen, sangen wir laut, falsch und mit Begeisterung “Shadow on the wall” von Mike Oldfield.

    Die ganze nächste Woche ging ich wie auf Wolken, war ganz und gar glücklich. Mein Schwarm wusste von meinen Gefühlen. Er hatte sich nicht abgewandt und gewürgt, so als ob er kotzen müsste, und er lief nicht im Ort herum und schrie: Der Piero (das war mein Spitzname) ist eine Homo, der mir an den Schwanz will. Er behielt es für sich, und am Freitag bat er mich, ihn in der Halle zu treffen. Am selben Tisch wie vorige Woche. Ich duschte und benutzte teures Duschgel und rasierte meinen Bartflaum und verwendete etwa von Papas Irish Moos Aftershave. Ich gurgelte und spülte den Mund mit Odol, gab Gel in meine halblangen Haare und zupfte daran herum, bis ich meiner Meinung nach wie ein verwegener, wilder Junge aussah. Dann stolzierte ich in meiner engsten Jeans in die Jubiläumshalle und da war Walter. Tanktop, enge, ausgewaschene Jeans, seine pechschwarzen, wuscheligen Haare fielen ihm über die Augenbrauen. Er war auf eine Art und Weise niedlich, wie ich es später nur noch bei einer anderen Person gesehen hatte, bei Thomas Haustein als Detlev im Film Wir Kinder vom Bahnhof Zoo:

    Jedenfalls war Walter voll nervös und alles, seine langen Wimpern zitterten, seine Lider flatterten und wir tranken Bier und rauchten und redeten über den Sommer und die Party, die für das übernächste Wochenende, das Letzte im August, auf der Lichtung bei den Bächen geplant war.

    Und dann, so nach drei Bier und einer Handvoll Zigaretten, sagte er leise zu mir: “Du, wegen dem, was wir vorige Woche geredet haben,., was du mich gefragt hast, ja? Ich kann das nicht, ich kann das wegen meiner Erziehung nicht. Reden wir nicht mehr drüber, okay?”

    Er sagte nicht, dass er es nicht will, oder er eben kein Schwuler ist, oder wenn er einer wäre, dass ich einfach nicht schön genug für ihn sei. Er sagte, er könne es nicht wegen seiner Erziehung, so, als hätte er über eine Antwort nachgedacht, mit der er mein Ansinnen ausschlagen könnte, ohne das Gesicht zu verlieren und ohne mich zu verletzen. Mir war in dem Moment zum Heulen zumute und alles, was ich sagen wollte, zerfiel mir im Mund zu Asche. Ich glaube, er legte sogar ganz kurz seine Hand auf meinen Unterarm. Dann tranken wir weiter und Walter redete über etwas anderes, aber ich war taub, so als ob neben mir eine Granate explodiert wäre.

    An diesem Abend gingen wir wieder gemeinsam über die Ortsstraße, wir sangen nicht und ich verbrannte neben Walter, der nach grünen Äpfeln roch, nach den Zigaretten, die er geraucht hatte, und nach Bier. Ich brannte lichterloh, ging heim, legte mich ins Bett, holte mir einen runter und als es mir kam, weinte ich. Mein Gott, ich war sechzehn, da darf man noch unausgeglichen sein.

    Die ganze Woche wich ich ihm aus und trieb mich mit Fritz und Yilmaz herum, denen meine mürrische Art auch irgendwie den Tag versaute. Dann kam dieser Freitag, es wurde Abend, und ich ging nach einigem Überlegen auf diese Party auf der Lichtung, wo der Ort endete, die Wildnis begann und zwei Bäche zusammenflossen. Irgendjemand hatte eine Gitarre dabei und jemand anderes hatte Tablas und Bongos und als es dunkel wurde, sang jemand “The house of rising sun” und “morning has broken” und Fredl spielte Cavatina.

    Walter tanzte trunken, mit einer Flasche Bier in der Hand, der Mond schien und alles schien okay zu sein. Ich meine, angesichts der Tatsache, dass ich eine Abfuhr bekommen hatte und meine Teenagerschwärmerei in sich zusammengebrochen war wie ein Sack voller Knochen.

    Walter war in Susanne K. verliebt. Ja, die war auch dort. Ein wunderschönes Mädchen mit goldenen Haaren und einer Hauttönung, wie ich sie noch nie gesehen hatte, irgendwie honiggold oder so. Er wollte sie mit all der leidenschaftlichen Ungeschicklichkeit eines fünfzehnjährigen Burschen, der angesäuselt war.

    Werner Stadlmann war da und Hans Adam, die beide betrunken herumsteifbeinten, und Alfred Lugerbauer, der die Gitarre spielte wie ein Gott, Mädchen waren da, für die ich mich nicht besonders interessierte, Walter wollte Susanne küssen und irgendwie (das erfuhr ich erst später), spuckte er ihr in den Mund und sie stieß ihn weg und er war fuchsteufelswild, kam zu mir, sah mich mit Wuttränen in den Augen an und schrie: “Kann einen denn niemand vor diesen Drecksschwuchteln schützen?“ und donnerte mir die Faust ins Gesicht. Ich sackte zusammen, wie vom Blitz getroffen, und wollte sterben und im Boden versinken. Mir war übel, ich war taub, blind und verwirrt und Walter storchstakte davon und wälzte seine Schuldgefühle Susanne gegenüber auf mich ab, krächzte bittere Flüche und kämpfte mit sich und den Tränen. Ich war niemand, der je im Mittelpunkt stehen wollte, und jetzt sammelte ich den Rest meiner Würde auf, kämpfte mich auf die Beine zurück und zwei Jungs halfen mir, rein aus Solidarität mit dem Besiegten, und ich stand auf einmal ganz allein zwischen all den anderen und brannte wie auf dem Scheiterhaufen. Niemand fand ein tröstendes Wort, ein paar Mädchen kümmerten sich um Walter und ich ging allein und verdroschen durch das Wäldchen und die dunklen Gassen von Biedermannsdorf nach Hause.

    Ich trug nicht einmal ein blaues Auge davon. Ich nehme an, dass Walter mich nicht wirklich in Grund und Boden prügeln wollte, sondern dass er seine persönliche Enttäuschung in Bezug auf Susi an mir entladen wollte und gleichzeitig eine moralische Rechtfertigung brauchte, um zuschlagen zu können. Damals sah ich das wesentlich enger und fokussierter: Walter hatte mich öffentlich gedemütigt und geschlagen, weil er mich hasste, weil ich schwul war und ihn damit … belästigt hatte. Ich war kein abgebrühter Halbstarker – ich wollte einer sein, aber Pustekuchen, ich war nur ein langer Schlacks, dünn und vom Leben verwirrt. Der Junge, den ich liebte wie eine Ikone, verprügelte mich, ich war zwangsgeoutet worden, also wollte ich sterben.

    Rückblickend war das vielleicht das Herzzerreißende, der Grund, warum ich jetzt so gut verstehen kann, warum verprügelte Ehepartner dort bleiben, wo sie sind. Weil man nicht einfach aufhören kann, zu lieben, nur weil es vernünftiger wäre. Liebe hat mit Vernunft nichts zu tun, man glaubt ja sogar, man kann, geschützt durch Liebe, unter Wasser atmen.

    Ich wusste nicht, wohin. Ich hatte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte oder wollte. Fritz und Yilmaz waren für mich vollkommen asexuelle Kumpel (obwohl Fritz Kling damals schöner war als ein Engel und das, was man einen echten Freund nennen kann – doch über Fritz will ich einen eigenen Beitrag schreiben), und mit denen konnte ich über meine Schwärmerei für Walter nicht reden.

    Eine Woche später, an einem Sonntag Anfang September, kaufte ich vier Flaschen Bier und eine Schachtel Ernte 23 Zigaretten, ging damit zum Teich, die Steigung nach oben zu den alten Betonplatten, die dort seit der Entstehung der Welt lagen, setzte mich hin und beschloss, mich zu betrinken und dann ins Wasser zu gehen, um zu ertrinken. Das war der Plan.

    Und da saß ich nun und über mir wurde der Himmel dramatisch, der Wind frischte auf und wehte Laub über das trockene Gras. Die Oberfläche des Teichs war rau wie eine Feile, ich trank Bier und rauchte und fing an zu reden. Zu niemandem, zu mir selbst, zu Gott und den steinernen Wolken, die aneinander rieben und rumpelten. Das war mein Rapport ans Leben selbst. Ich sagte dem Wind, dass es okay sei, dass ich schwul bin und dass ich deswegen keine Angst vor meinen Eltern hatte, und dass ich mich nur davor fürchtete, zu lieben, zu lieben, zu lieben und abgewiesen und ausgelacht zu werden. Ich sagte den Wolken, wie sehr es an mir zehrte, so zerbrechlich und schwach zu sein, zu stottern, wenn mich jemand scharf anging, und wie dumm ich mich fühlte, weil ich Fantasiegeschichten über meine Familie und mich erzählt hatte, als wir hier 1980 einzogen, weil ich nach Aufmerksamkeit suchte. Ich erzählte dem Donner in der Ferne, wie traurig es mich machte, wie meine Eltern sich bemühten, nach dem Tod meines Bruders Rudi die Familie zusammenzuhalten, sich selbst zusammenzuhalten und ich konnte nichts beitragen, nur da sein, und ich sagte den Gräsern zu meinen Füßen, ich denke, es ist zu wenig, dass ich da bin, ich bin nicht genug, um sie zu retten.

    Dann trank ich noch ein Bier und redete mich in Rage. Ich verfluchte Walter, weil er mein Vertrauen niedergeprügelt hatte, weil er sich mir entzog, weil er trotzdem noch immer so schön war und noch immer alles in mir für ihn lichterloh brannte. Und ich redete weiter und krächzte heiser und weinte wieder ein wenig. Und dann brach die Sonne durch die Wolken. Ein goldener Vorhang aus Licht, und ich sagte: In Wirklichkeit, also es ist so, ich will leben. Und ich höre nicht auf, Walter zu lieben, nur weil er nicht schwul ist und selbst gerade eine urschwere Sache durchmacht. Er ist okay, und ich bin okay, und das Bier ist alle.

    Dann dachte ich so: Ich habe mich zum ersten Mal verliebt. So richtig bis in die Haarspitzen. Und für diesen kurzen Moment, als alles möglich schien, war es wunderschön. Ein sehnsüchtiges Ziehen im Hinterkopf, im Magen und in den Lenden. Ein zitterndes Hoffen. Und Regenbogen, Regenbogen, Regenbogen!

    Walter und ich kamen nicht zusammen. Wir hatten nie was und ich hörte nach einiger Zeit auf, von ihm zu träumen. Wir näherten uns im Herbst wieder aneinander an und kamen miteinander aus. Im darauffolgenden Jahr zerfiel unsere kleine Gang aus Walter, Fritz, Yilmaz, Michael Szraly und einigen anderen, als ein paar der Jungs sich um Rudi Keller scharten, der in der Perlaszgasse ein Lokal einrichtete und sich die willige Arbeitskraft der Jungs sicherte, in dem er ihnen Freibier versprach. Walter gehörte zu ihnen und entwickelte in dieser Zeit eine säuerliche Selbstherrlichkeit, die ihn zunehmend unattraktiv machte. Er wollte erwachsen werden, als erwachsen gelten, und trank zu viel Bier. Ich fuhr an den Wochenenden immer öfter nach Wien, um Jungs kennenzulernen.

    Das Leben trennte uns; Yilmaz zog nach Wien, Fritz mit seiner Mutter ins Burgenland und ich zog 1984 ebenfalls nach Wien. Von Walter hörte ich erst im August 1991 wieder, als meine Mutter mir erzählte, er sei im Juli desselben Jahres bei einem Motorradunglück auf einer Serpentinenstraße tödlich verunglückt. Walter wurde auf dem Friedhof von Biedermannsdorf bestattet.

    Ich habe sein Grab erst im Juli 2023 besucht. Danach ging ich zu Fuß am Fußballplatz vorbei und über die Perlaszgasse raus zum Badeteich. Es war ein windstiller, sonniger Tag, sogar die Grillen schwiegen. Ich ging außerhalb des Geländes auf der Forststraße weiter nach hinten und fand den Platz, wo ich damals im Bierrausch Gott und das Leben herausgefordert hatte und mit Lebensfreude beschenkt worden war.

    Die Betonplatten waren weg und die Lichtung am steilen Ufer vollkommen überwuchert mit Büschen und Gräsern und verkrüppelten Bäumen. Ich blieb eine Weile dort stehen und erinnerte mich an alle. Besonders an Walter, den ich so verzweifelt geliebt hatte. Ich wartete auf Tränen. Aber als ich ging, lächelte ich.

  • Was Zeitungsmacher wollen

    Rolf Dobelli, und das ist kein Dummer, rät generell vom Konsum von News ab. Man gewinnt keine Erkenntnisse durch den Konsum von News, man lernt daraus nichts, sie tragen nichts dazu bei, im Leben bessere Entscheidungen zu treffen. Schon Jorge Luis Borges sagte in seinen Gesprächen mit dem argentinischen Schriftsteller Ernesto Sabato, Zeitungen würden geschrieben, um vergessen zu werden. Und was damals für die Zeitungen galt, gilt heute umso mehr für so flüchtige Medien wie Twitter, Facebook, Instagram, TikTok, vk und wie sie alle heißen. News konsumieren ist das neue Kiffen. Man vertrödelt Zeit, verwirrt sich durch Meinungen und lernt nichts dabei. News konsumieren schränkt die Aufmerksamkeitsspanne und die Konzentrationsfähigkeit ein und die Algorithmen hinter den News schröpfen den User wie Mastgänse mit immer beängstigenden News, weil die nun mal am häufigsten gelesen werden und die meisten Interaktionen bewirken.

    Heutige und damalige Zeitungsmacher wollen kein „Aha“ aus dem Publikum, sondern ein dauerhaftes und vielstimmiges „Das darf doch alles nicht wahr sein!“ Geraune.

    Exxpress

  • Warum ich zu Onlyoffice wechsle

    Die Themen

    Wenn man von Schriftstellerei spricht und schreibt, sich darüber informiert, geht es um ein paar große Themen:

    • Wie schreibe ich einen guten Roman?
      • Stil, literarische Methoden, Erzähltechniken, Sprache
    • Wie finde ich einen Verlag, wie veröffentliche ich und:
      • Wie möchte ich in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden?
    • Womit schreibe ich?

    Heute möchte ich mich mit dem dritten Thema befassen. Nämlich, womit man schreibt.

    AutorenApps

    Meines Wissens hat Ernest Hemingway den Großteil seiner Romane und Kurzgeschichten in einem Hotelzimmer des Ambos Mundos in Havanna geschrieben, und in seiner Finca Vigia in Santa Maria de Paula, ebenfalls in Havanna – mit der Hand auf lose Blätter. Stephen King schreibt auf Microsoft Word auf einem Mac, Neil Gaiman schreibt seine Erstentwürfe mit einer Füllfeder in Leuchtturm1917 Notizbücher und dann erst mit LibreOffice, Andreas Eschbach nutzt Papyrus. Manche Drehbuchautoren nutzen scheinbar gerne Scrivener.

    Ich habe im Laufe der Zeit folgende Schreibprogramme genutzt, um meine Romane und Kurzgeschichten zu schreiben:

    All diese Programme versprechen, den Autor in seiner Arbeit zu unterstützen und geben Module und Tools an die Hand, um den organisatorischen Teil der Autorenarbeit zu vereinfachen. Das Versprechen ist vollmundig und klingt gut, wirft aber bei näherer Betrachtung ein paar Fragen auf. Unter anderem auch, warum die dilettantischsten und stümperhaftesten Romane von öffentlichchkeitsgeilen Self-Publishern mit den teuersten Autorenapps verfasst werden (Papyrus, Scrivener), während Meisterwerke wie die von Gabriel García Márquez, Ernest Hemingway oder Neil Gaiman ohne all diese Tools und Gizmos verfasst wurden und werden? Wieso konnte sich die Überzeugung verbreiten, Profis würden mit solchen Apps arbeiten? Dasselbe gilt für Notizapps. Je komplexer und mehr Funktionen, desto besser. Dachte ich auch eine Zeit lange. Heute mag ich es einfach und effektiv.

    Onlyoffice

    Nachdem ich vor einiger Zeit von Windows 11 auf Linux Mint umgestiegen bin und mich Schritt für Schritt aus dem Krakengriff US-amerikanischer Dienstanbieter befreite (Mailprovider, Browser, Suchmaschine, OS, Office) und auf Linux einige dieser Programme nicht, oder wenn, dann nur unter WINE laufen, habe ich den letzten Roman (Auf dieser Frequenz) mit LibreOffice geschrieben und den letzten unveröffentlichten Roman (Du bist der Totem) mit ONLYOFFICE. Und ich schätze, ich werde bei ONLYOFFICE schreiben. Aus folgenden Gründen:

    • Es ist vollkommen kompatibel mit MS Office, was mir den Manuskriptaustausch mit dem Verlag erleichtert
    • Es ist unaufdringlich, gut designt, hat die Funktionen, die ich brauche, und zumindest eine, die die anderen nicht haben: Man kann unterschiedliche Module von ONLYOFFICE in Tabs nebeneinander öffnen. Das heißt, ich habe zB in einem Tab das Manuskript offen, in einem zweiten die Kurznotizen und im dritten ein Excelsheet mit der Liste der wichtigsten Charaktere und deren Eigenschaften.
    • Mit der Version 9 von ONLYOFFICE wurde auch die GUI überarbeitet und ist angenehm fürs Auge, wenn man Funktionen braucht und unaufdringlich, wenn man sich aufs Schreiben konzentrieren will.
    • Mir am wichtigsten: Das Programm steht mir nicht im Weg, wenn ich schreiben will, es drängt mit keine Funktionen auf, die ich nicht brauche, und bittet mich nicht ständig, mich mit ihm zu befassen, um doch bitte wirklich alle Funktionen zu kennen und nutzen zu können
    • Das Programm ist Open Source und auf Github einsehbar, der Hauptsitz des Unternehmens ist in Riga, Lettland
    • Man kann es auf Linux als SNAP oder AppImage nutzen.

    Einziger Minuspunkt, den ich schon öfter eingeworfen habe: Die Implementation von Language Tool als Add-On ist bestenfalls halbherzig.

    Herangehensweise

    Wenn ich zu schreiben beginne, war ich mit der Geschichte meistens schon zwei oder drei Monate sozusagen schwanger. Ich mache mir in Notizbüchern handschriftliche Notizen, meistens Szenen, Sketches, Kritzeleien, Kapitelnamen und Schlussfolgerungen. Das ist noch nicht wirklich produktiv, es ist ein Herumspielen mit Ideen.

    Dann beginne ich, die Schreibarbeit vorzubereiten. Dazu lege ich in der Cloud unter „Projekte“ einen neuen Ordner an und in diesen neuen Ordner kommen ein paar Unterordner. Meistens folgende:

    • Manuskript (Da kommt das Manuskript rein)
    • Archiv (Alte Versionen, andere Formate, Schnippsel)
    • Notizen (Eschbachs Methode. Zwei Dateien
      • Muss noch geschehen
      • Beim Überarbeiten beachten)
    • Für die Veröffentlichung (Was bisher geschah, Klappentext, Buchbeschreibung, Expose, Pitch)
    • Bilder (inspirierende Fotos von Orten und Menschen)

    Auswahlkriterium

    Am Anfang dachte ich, ich brauche eine Software, die alles kann. Einfach alles! Je länger ich schreibe, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass die Software, mit der ich schreibe, am besten transparent ist und mich direkt auf die Geschichte sehen lässt. Sie soll keinesfalls zwischen mir und dem Text stehen. Ich brauche nicht alle Funktionen, ich brauche nur die, die ich für meine Arbeit brauche. MS Office kann viel zu viel, LibreOffice ist überladen. Den vielen , zum Teil modularen Funktionen von Papyrus und Scrivener kann ich nichts mehr abgewinnen, weil sie mich eher vom Schreiben abhalten und verleiten, mit ihnen zu spielen. Der Funktionsumfang von ONLYOFFICE ist auch für Teamarbeit geeignet und für den Einsatz in Büros, es ist aber auch leichtfüßig und agil für Schriftsteller wie mich, die Romane schreiben, die bis zu 500 Seiten Umfang haben. Damit kommen die Desktopversionen locker klar.

    Was ich also von einer Schreibsoftware erwarte, ist:

    • Sei mir nicht im Weg
    • Sei unaufdringlich
    • Mach keine Mätzchen
    • Ermögliche einfachen Austausch mit dem Verlag
    • Sei schnell
    • Und hübsch darfst Du auch sein 🙂

    Ich habe nun ONLYOFFICE als Snap auf Linux Mint installiert und benutze die Onlineversion von ONLYOFFICE, die mein Cloudanbieter implementiert hat. ONLYOFFICE kommt zwar mit einem eigenen DocSpace daher, den man als Einzelperson gratis nutzen kann. Den benutze ich allerdings nicht, weil ich meine Dateien nicht auf unterschiedlichen Clouds einlagern will. Damit werde ich mich in den nächsten Tagen und Wochen befassen. Und ONLYOFFICE ist gratis.

    Bitte an die ONLYOFFICE Entwickler: Überarbeitet das Languagetool Plugin. Das ist so, wie es jetzt implementiert ist, nicht zu verwenden.

  • Trebol

    1990 gab es in Las Palmas, auf Gran Canaria, eine Diskothek namens Trebol. Im Rückblick betrachtet war das Trebol die wohl wichtigste Diskothek der kanarischen Schwulenbewegung. Es lag zentral, direkt an der schmalen Hüfte von Las Palmas in der Calle Dr. Miguel Rosas. Der Urlaub in Las Palmas de Gran Canaria war meine erste Flugreise und zu verdanken hatte ich die einem Freund meines ehemaligen Freundes und Vermieters, Alfi, dem damals das Lokal „Alfis goldener Spiegel“ gehörte. Ihm war ein Reisebegleiter abgesprungen und so landete ich an seiner Seite auf Gran Canaria und hatte mit ihm auch gleich einen Fremdenführer, der sich dort schon ein wenig auskannte.

    Wie sich später herausstellte, war es von unschätzbarem Vorteil für einen wenig selbstsicheren und nur halbwegs gut aussehenden Burschen wie mich, in Las Palmas aufzuschlagen und nicht im Süden der Insel, in Playa del Ingles oder Mas Palomas, wo es schon in den Neunzigern die schwulen Touristen aus Österreich, Deutschland und England Nacht für Nacht krachen ließen. In Las Palmas war ich selbst als schwarzhaariger Tourist unter den einheimischen Schwulen der Exote.

    Das Trebol war aber nicht nur eine schwule Diskothek, sondern auch noch eine schwule Sauna: Ebenerdig war die Diskothek und in den drei oberen Etagen befand sich die größte schwule Sauna, die man sich vorstellen kann. Ab Freitagnacht konnte man einen kombinierten Eintritt bezahlen und hatte damit von Freitagnacht bis Sonntagabend unbeschränkten Zugang zur Disco und Sauna. Das hatte für viele einheimische Gays einen gewissen Charme, die aus kleineren Ortschaften übers Wochenende nach Las Palmas kamen, um zu feiern. Man konnte sich dort tatsächlich verlieren, zwischendurch Sauna machen, Dampfbad oder eine Massage genießen oder einfach eine Runde pennen, um dann erfrischt weiterzutanzen.

    Der Exot unter heimischen jungen Schwulen zu sein, hatte unübersehbare Vorteile für mich. Ich war in jenen Tagen noch sehr schüchtern und ungeschickt beim Flirten, und das schien die Canarios zu reizen – denn die liebten nicht nur das Flirten, sie beherrschten es auch. Ich wurde in meinem Leben nie wieder so unverschämt und verführerisch angeflirtet wie in den Tagen auf Gran Canaria von einheimischen Jungs. Betrunken stellte ich mir vor, wie es wäre, mich in einen von ihnen zu verlieben und zu bleiben und irgendwie Fuß zu fassen – törichte Träume eines 20-somethings, der sich gerade auf den Weg zum Alkoholiker machte. Die freizügige Flirterei und der übermäßige Genuss von Alkohol führten jedenfalls oft dazu, dass ich nach einem hochintensiven Intermezzo mit einem spanischen Burschen im oberen Teil der Trebol-Anlage glückselig um drei Uhr früh im Club tanzte wie ein Blitz in der Nacht und vor Lebensfreude Tränen in den Augen hatte. „Dancing with tears in my eyes“ sozusagen, zu Guro Josh’s Infinity oder Who’s law:

    Diese tanzbaren Elegien sind für mich untrennbar mit Las Palmas Anfang der Neunziger verbunden. Mit naiven Flirtereien und eskapistischen Träumen. Das Trebol gibt es schon lange nicht mehr. Ich weiß nicht, was sich dort jetzt befindet, aber ich hoffe, die Gassen zwischen dem Parque Santa Catalina und der Playa de las Canteras haben noch ihren verwuschelten Charme. Kann mich noch an die dichte Bewölkung über der Stadt erinnern, die das rostige Licht der Natriumdampflampen zurückwarf.

    Wie eine Flaschenpost geht mit diesem Posting auch ein Gruß raus zu Juani Bello Sanchez, der damals im Trebol arbeitete und für mich zum Inbegriff des Latin Lovers wurde; ein unglaublich gut aussehender Zwanzigjähriger mit schwarzem Wuschelkopf, braunen Augen und einem umwerfenden Lächeln. Soviel ich weiß, war er damals Student in der Universität Las Palmas und arbeitete nebenher auch noch in der Universitätsbibliothek. Der Kerl hat mir 1991 das Herz gebrochen. Wie? Er hat mich mit seiner ganzen Aufmerksamkeit beschenkt, als wir im Feuersturm im Trebol tanzten, uns umarmten und küssten und später auf seinem Zimmer liebten – in einem Rausch, der uns beide nach dem Unmöglichen süchtig machte. Mich mehr als ihn.

    1992 hatte ich dann schmerzhaft gelernt, dass ich für ihn nur ein einfacher, kleiner Flirt war. Eine Fingerübung sozusagen, und meine Annäherungsversuche im Sommer 1992 waren ihm sichtlich unangenehm. Das hat mich damals schlagartig ausgenüchtert und aus den Wolken gefischt. Um nicht zu sagen, es war wie ein Schwall Eiswasser aufs Gemüt.

    Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an das Gefühl der Freiheit, an die nächtliche Trunkenheit, meine vollkommene Arglosigkeit gegenüber allem und jedem. Dann erinnere ich mich an die Nächte, in denen ich mit einer Dose Bier im Sand saß und zur Brandung raussah und wie die Brandungslinie im Morgengrauen deutlicher wurde. Die fast ängstliche Trauer, wieder zurückkehren zu müssen nach Wien, und nicht damit umgehen zu können. Nicht bleiben zu können um ewig weiterzufeiern, zu lieben, Sehnsucht in die Brandung schleudern und mit Tränen in den Augen wie ein Blitz in der Nacht zu tanzen.

  • Zandvoort

    Weil ich mich gerade daran erinnere: Als ich bei UPC (Liberty Global) arbeitete (Mai 2002 – April 2014), reiste ich oft aus beruflichen Gründen nach Amsterdam. Damals saß das Geld beim Unternehmen locker – wie auch immer – es gab Jahre, da flog ich im Monat 3-4 Mal nach Amsterdam und stieg da, wenn ich zwei Tage blieb, entweder im Radisson Hotel im Businesspark Schiphol ab, im Radisson im Zentrum oder im Hotel Amsterdam American am Leidseplein.

    Am ökonomischsten war für mich das Hotel in der Nähe des Flughafens, weil ich von dort aus zu Fuß zum Büro gehen konnte – was gar nicht so übel war, wenn ich in der Nacht zuvor in einer der schwulen Bars in Amsterdam versumpert war und der kleine Spaziergang belebend wirkte.

    Am besten gefiel es mir im Hotel Amsterdam American. Ein pittoresker, alter und verspielter Bau mit Würde, einer riesigen Bar und ziemlich guten Mojitos.

    Abgesehen davon, mich in den unzähligen Bars in Amsterdam gehen zu lassen, Notizbücher vollzuschreiben oder angeregt mit Leuten zu diskutieren, schätzte ich es, auf Wanderschaft zu gehen, und eine meine schöneren Touren damals war, als ich im Spätsommer (also Anfang September) an einem Freitag gegen 14:00 Dienstschluss machte, mich in den Zug setzte und vom Flughafen Schiphol zuerst nach Haarlem fuhr, dort umstieg und weiter nach Zandvoort. Dort ist nicht nur eine bemerkenswerte Autorennstrecke, für die ich mich leidenschaftlich überhaupt nicht interessiere, und ein ewig langer Strand, an dem zu jeder Jahreszeit (ich war da auch im Winter stundenlang spazieren) Surfer in Neoprenanzügen die Wellen ritten und wohl noch immer reiten. Ich war dort auch schon einmal im Winter, um eine längere Wanderung am Strand zu machen. Strände im Winter haben eine ganz eigene, silbrige Stimmung.

    Zandvoort besuchte ich zum ersten Mal im Winter 2010, es war kalt, windstill und nebelig und das Licht war sehr eigen. An mir liefen immer wieder Halbwüchsige in ihren Wetsuits sandaufwirbelnd vorbei, krähten sich gegenseitig etwas zu und verschwanden in Dunst, der vom Meer her über den Strand zog.
    Dann, im September 2012 nutzte ich den längeren Aufenthalt in Amsterdam und machte diesen schönen Ausflug zum Strand. Es war zu kühl, um schwimmen zu gehen, als setzte ich mich in eine der Surfer-Bars namens Club Nautique, aß, um nicht vom Bier ins Meer geblasen zu werden, Dutch Fries mit gefährlich viel Ketchup und Mayonnaise, sah den Surfern zu, die herumliefen und Wellen suchten, genoss den Wind und den Geruch von Sand und Salz. Ich muss direkt mal in den Keller gehen und in den eingelagerten Notizbüchern nachschauen, ob ich dazu etwas aufgeschrieben hatte.

    Leise spielte es akustischen Rock, der Kellner war ebenso freundlich wie gut aussehend, und ich dachte wieder einmal daran, wie es wäre, wenn ich ganz woanders leben würde als da, woher ich bin.
    Ein Träumer war ich schon immer. Aber auch ein Realist. Sosehr ich diesen Nachmittag bis in den frühen Abend genoss, die Fritten, die vier oder fünf Krüge Bier, ich wusste, dass ich da nicht leben wollte, selbst wenn mir jeden Tag hunderte von Surfern in ihren knallengen Neoprenanzügen vor der Nase herumtanzen würden.

    Ist nur so ein Griff in die Vergangenheit, etwas, an das ich mich gerne erinnere, weil zumindest in diesen vier oder fünf Stunden die Welt ihre Probleme für sich behalten hatte, das Bier schmeckte, das Licht großartig war und die Wellen ewig rollten und alles so leicht war wie ein Song von Burt Bacharach.

  • Cyborg me – Danach

    Cyborg me ist einer meiner kürzesten Romane, dafür ist er allerdings sehr dicht geschrieben und eröffnet mir Möglichkeiten, ihn durch einen oder zwei weitere Romane in mein „Inseln im Westen“ Universum zu verknüpfen. Als ich in Absprache mit dem Verlag nach einem brauchbaren Bild für den Umschlag suchte, fand ich nichts, was mir wirklich zusagte. Zwei Bilder fand ich letztlich, die ich verwendet hätte, wenn da nicht Probleme mit dem Urheberrecht gewesen wären. Der Künstler, der eines der beiden Bilder erstellt hatte, wollte einen unverschämt hohen Betrag für die Nutzung seines Werkes (ich meine, mich an 7000 Dollar erinnern zu können), den Urheber des zweiten Bildes konnten wir leider nicht ausfindig machen.

    Jetzt spiele ich seit etwa einem Monat mit KI-generierten Bildern herum und es macht mir Spaß, mit Worten zu malen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass keines der so entstandenen Bilder irgendetwas mit Kunst zu tun hat, aber es macht einfach Spaß, herumzuspielen und vereinzelt, ganz selten, etwas zustande zu bringen, das durchaus brauchbar ist – und für den Umschlag verwendbar gewesen wäre. So habe ich z. B. mit einem Prompt herumgespielt, um ein Bild von Samson Aguilar zu erstellen, dem jungen Cyborg im Roman. Hier ein Bild, das ich so erstellt habe:

    Das trifft meine Vorstellung von Samson schon perfekt. Ich weiß nicht, ob es angemessen und gut gewesen wäre, ein solches Bild als Buchcover zu verwenden. Aber schlecht ist es nicht, oder?

    Das Titelbild des Blogposts habe ich erst später eingefügt. Das gefällt mir auch recht gut und wird Samson gerecht. Ich denke, ich werde noch eine Weile herumspielen und versuchen, die Stadt zu prompten, in die sich Mexico City in der Zukunft verwandelt hat.

  • Jeder ist die ganze Welt

    Wir gingen Hand in Hand
    durch Wüstensturm und Regen,
    wir gingen Hand in Hand ins Land
    aus Blut und Gelächter und
    wir gingen, bis wir an der Küste standen
    und der Hunger nach Leben uns verschlang

    Wir atmeten Brust an Brust und
    wir atmeten Lippe an Lippe, wir waren jeder
    für einen Augenblick die ganze Welt des anderen:
    Nie hatte das Meer einsamer und eifersüchtiger
    an unseren Füßen gezogen als in diesem Moment,
    nie rollte es kraftvoller als jetzt, da es machtlos war

    Wir griffen in den Himmel und küssten uns
    wir griffen hoch in das wütende Grau und
    wir griffen darüber hinaus die Metallkante des Horizonts
    und uns geschah nichts und wenn unsere Hände bluteten
    von der Schärfe der Welt, dann mischten wir unser Blut
    und unser Blut mischte sich mit dem Gelächter des Meeres

    Wir kämpften uns zurück ins Land
    durchwanderten die Sierra Maestra und furchtbare Wälder
    voll wütender Lust und Tod, kämpften uns hoch und höher,
    die Berge hinauf bis unsere Köpfe in den Wolken verschwanden
    bis unsere Leiber aneinander vibrierten und unsere Hüften
    miteinander kämpften um Geben und Nehmen

    Und das alte Tosen war um uns und in uns
    und wir teilten es mit dem Himmel und der Erde
    wir teilten Nässe und Schamlosigkeit und
    das Donnern umfing uns wie eine Hand und schützte uns
    und wir konnten nicht aufhören, Engel zu sein, die
    einander zur Erde warfen und herrschten, um beherrscht zu werden

    Und wir blieben, bis unsere Augen vor Erschöpfung weinten
    und unsere Seelen von der Liebe blind und erschlagen
    und unser Atem zu Silber verwoben weit und weiter zog und
    von uns kündete, von uns sang und für uns kämpfte
    mit dem Schwert der Wahrheit und des Verlustes mit
    all der Liebe, die wir im Fallen verschenken konnten,

    jeder die ganze Welt des anderen
    jeder der ersehnte Atemzug
    jeder der Puls der Sterblichkeit und
    jeder die Brust, die sich senkte und hob
    jeder all die Leidenschaft und Unvergesslichkeit
    jeder nur ein Wimpernschlag Ewigkeit; Jetzt!

  • Stricherelegie

    Schlussendlich bist Du es Leid allein zu sein und wappnest Dich für das Leben, das Du plötzlich in Dich dringen lassen willst. Du atmest mich an, während Du mir sagst, allein sein ist cool, aber cool sein ist nicht alles. Dein Atem riecht nach Minze, gut: Die Stadtgeräusche sind zwischen Dir und
    mir, das Licht der Welt ist ebenda und irgendwo bellt ein aufgeregter Hund.
    Du senkst den Blick und denkst nach, ich schenke Wodka in die Pappbecher – Die Stadtgeräusche sind zu laut für uns, und wir gehen weiter hinaus zur Donau und nicht ins „Flex“, wie wir ursprünglich vorhatten.
    Du willst mit mir über Einsamkeit reden, und ich nehme Dich, ich nehme Dich beim Wort.


    Denn Dein Wort ist mir heiliger als Du denkst Du clevere, kleine Hure. Gestern fühlten wir uns müde, Du & ich und das Gespräch kam nicht in Gang. Ich weiß, Du wolltest etwas Wichtiges sagen, es brannte Dir auf den Nägeln, aber: Zwischen den Worten und unter dem gleichgültigen Mond, auf der Promenade am Donaukanal bist Du in meinen Armen eingeschlafen und ich habe Dich aufrichtig geliebt – wie schön Du warst im Zwielicht der Stadt, wie unschuldig für den Moment.
    Heute sind wir in der Dämmerung raus aus der hitzeschwangeren Innenstadt und durch den zweiten Bezirk über die Donau, um allein zu sein, zu rauchen, zu reden und vielleicht eine Chance aus dem Diamantenstaub des nächtlichen Himmels zu schütteln.
    Ich werde Dich heute Nacht nicht mit Geschwurbel langweilen und auch nicht mit Vorschlägen, wo wir junge Türken finden können, die sich billig geben, von Stricher zu Stricher, und uns niederficken. Heute geht es um uns, und Du sagst noch mal: Allein sein ist echt cool. Aber irgendwie zu wenig.
    Ich gebe Dir recht und schau in deine Augen: Hab ich Dir je gesagt, dass Deine Blicke Gänsehaut verursachen und mich völlig verstrahlt neben Dir zittern lassen? Du hast diesen glänzend feuchten Blick, der Schwänze hochwichst und Brustwarzen versteift.


    Schön, mein Freund, heute ist die Stadt auf unserer Seite, sie umfasst uns zärtlich und blinkt Katzengold aufs schwarze Wasser der Donau. Der frühe Herbst macht die Nächte kühler, Laub treibt auf dem Strom, wir werfen die Becher in Kübel und gehen auf der Promenade am Wasser entlang.
    Du hakst Dich bei mir ein und lächelst, dass mir die Luft wegbleibt – Du hast jede Menge Magie in Dir. Obwohl wir beide kleine Stricher sind und Junkies, ist noch Zauber in uns, und auch die Bereitschaft, Magie zu erkennen; so clever bist Du also gar nicht.
    Du willst den magischen Moment mit hingerotzer Spucke überspielen, aber ich kenne Deine Tricks: Zu viel Bahnhof und komische Kunden in unserem Leben, na los, lächle bitte noch mal so wie eben.
    Komm, sag ich, sei mein Freund. Nicht nur mein Partner auf dem Strich. Nicht nur eine Zunge, die meine Lippen für den Freier aufblühen lässt. Lass uns abhauen aus der Szene und den Routinen balkanischer Stricher die wir sind.
    Konnten wir als billige Jungs je die Stadt sehen, wie sie sich uns heute zeigt? Konnten wir je so nebeneinander gehen, ohne dauernd die Jeans über unsere knackigen Ärsche für potenzielle Kunden hochzuziehen, die T-Shirts über den Bauch nach oben zu schieben?

    Heute gibt es keine Kunden, keine lästigen Jungschwestern, die es gratis wollen. Heute gibt es den launigen Mond, das Wasser und uns.
    Wir bleiben stehen, sehen uns um. Dann setzen wir uns ans Ufer und lassen die Stadt und ihren Sound außer Acht.
    Du legst Deinen Kopf auf meinen Schoß und beginnst Sterne zu zählen, jetzt riecht Dein Atem nach Wodka, aber er ist warm und macht mich süchtig.
    Du sagst: Küss mich, und ich tu es. Blut rauscht in meinen Ohren, Du fasst in meine Haare und hältst mich fest – Dein Kuss ist gut, an fetten Freierslippen trainiert, unsere Zungen sind wie Kinder in einem Märchenwald – ich glaube an Deine Aufrichtigkeit, wie geübt sie auch sein mag.
    Du bist müde, ich weiß, müde von all den Versprechen und weinerlichen Schwüren. Du bist müde von den langen Nächten in Hotelhallen, Bars; und den echt miesen Nächten auf der Gasse oder in wanzenverseuchten Betten von Stundenhotels, ich weiß es, weil ich genauso müde bin wie Du.
    Ich bin nicht einfach nur allein, sagst Du, ich bin einsam. Und will das nicht mehr sein, hörst Du?

    Wir küssen uns noch mal, so schläfrig, so gut.


    Ich ziehe die Knie an und lege mich auf den tageswarmen Beton, Dein Kopf auf meinem Schoß ist gut, echt gut sogar, der Joint pfeift rein wie ein Tornado, der Himmel ist weit wie schwarzer Samt voll Diamentenstaub – an Reichtum denken wir jetzt nicht.
    Ich wuschle Dein Haar, Du leckst meine Hand und wir lachen
    heiser.
    Dann weinst Du kurz und ehrlich, trinkst Wodka aus der Flasche, und das bringt mich auch zum Weinen & so heulen wir beide & trösten uns Stirn an Stirn, Nase an Nase, Träne an Träne.

    Ja, sage ich, lass uns aufhören, cool zu sein. Das ist doch bloß Beschiss hoch vier, wenn Du mich lässt, will ich Dich lieben, bei Dir sein, komm, sei mein Freund.
    Fick mich jetzt unter diesem sturzbetrunkenen Mond, nimm mich und meine Worte, mein Lachen und meine Tränen, spann mich auf und atme mich an: Ich rieche ebenso noch Wodka, und alles und jedes wird gut. Alles und jedes wird gut.
    Jetzt lächelst Du wieder, ich lecke Deine Tränen von den Wangen und ich sehe, dass der Mond in Deinen Augen schallend lacht und sich mit uns freut.


    Denn wie ich schon sagte: Heute ist die Stadt auf unserer Seite, mit all ihrem Sound und Glanz und Leben.

    Und ab jetzt sind wir das auch.

    Jetzt sind wir, aus der Ferne gesehen, zwei Zeichentrickfiguren, die zum großen Mond gehen.

    Hand in Hand. Das ist gut.

    Mit dem Geschmack von Küssen und Tränen im Mund.

    Das ist besser.

    Und Dein flinkes Lächeln schlägt Wurzeln in meinem Herz.

    Das ist vielleicht das Beste.

  • Rechter Kulturkampf

    Angeblich gibt es einen Kulturkampf zwischen dem linken und dem rechten Weltbild. Um Kultur scheint man in rechten Kreisen besonders gerne zu kämpfen, denn das ist ein Kampf im Nebel, den Rechte nie durchdringen müssen. Sie begnügen sich mit Framings und Kriegsgetöse. Sie erweisen sich durchaus geübt darin, den Diskurs zu fordern und eine Diskussion loszutreten, und durchaus als gewiefte Anwender der Rabulistik. Letztendlich aber scheitern die Rechten in jeder Diskussion um Kultur.

    Warum?

    Weil die Rechte der Schaffenskraft linksliberaler Menschen nichts gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Die politische und ideologische Rechte war und ist stets nur gut darin, Kultur entweder zu kritisieren, zu bemängeln, geringzuschätzen, oder sie sich mit unermesslicher Unverschämtheit anzueignen. Was den Rechten gefällt, wird zum Bestandteil ihrer Kultur oder dessen, was sie in ihrer rechts-ideologischen Umlaufbahn dulden, um sich den Anschein von Weltgewandtheit zu geben.

    Kultur selbst ist für die Rechten nur dekoratives Beiwerk: Bildende Kunst, Theater, Oper, Literatur: Die Rechte schmückt sich und das, was sie unter Kultur verstehen, mit konservierten Werken. Sie nehmen auch internationale Erfolge (zähneknirschend) in Kauf, beklagen gleichzeitig lautstark den Verfall der Kunst und Kultur. Das taten sie schon vor 100 Jahren, als sie alles Jüdische als entartet diskreditierten, und das tun sie auch noch heute. Rechter Kulturkampf ist zusammengefasst ein einziger, ununterbrochener Raubzug, ein freches Brandschatzen – eine Unverschämtheit gegenüber allen, die Kunst und Kultur um ihrer selbst Willen gestalten, erweitern, schaffen.

    Alles, was es in unserer Welt an Kunstschätzen gibt, an Literatur, Malerei und Komposition; alles, was jemals in diesen Kunstrichtungen von Bedeutung war, kam immer von liberalen, offenen, neugierigen, kreativen Menschen. Wie schwer sich die Rechte tut, mit zeitgenössischem Kunstverständnis umzugehen, kann man an den peinlichen, journalistischen Entgleisungen im Politikblog Exxpress nachlesen: Die Redaktion windet sich vor Schmerzen, weil sie einerseits darüber berichten muss, dass Österreich den #ESC2025 gewonnen hat, benutzen das aber gleichzeitig wieder, um Antisemitismus mit moderner Kunst und der schwulen Szene zu verknüpfen; was sie nicht negieren und vom Tisch wischen können, müssen sie zwanghaft übel beleumunden, verzerren und infrage stellen 

    Wie sich Rechtskonservative argumentativ verbiegen und verrenken, wenn sie einerseits den Patriotismus hochhalten, ja, aber bitte nur den, der ihnen ins Konzept passt, das ist immer wieder äußerst amüsant zu lesen. Das wurmhafte Wortgewusel demaskiert die politische Rechte als das, was sie ist: ein kultureller Schmarotzer ohne Scham und Ehrgefühl, bis obenhin voll mit Standesdünkel und Arroganz.