Selfpublisher und Marginalisierung

Auf Bluesky gab es unlängst einige Beiträge zum Thema, dass Selfpublisher bei Literaturpreisveranstaltungen kategorisch von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Dazu schreibt ein(e) User(in):

Jedes Mal, wenn ich wieder sehe, wie #selfpublisher kategorisch aus Literaturpreisen ausgeschlossen werden, möchte ich kotzen. Im Strahl, vor die Füße der Leute, die sowas beschließen. Wie kann man so stehen geblieben sein?

Und bekommt Zuspruch:

Sehe ich absolut genauso. Es werden damit auch ganz gezielt marginalisierte Stimmen an den Rand gedrängt, die aus reinem Kalkül auch keine Verlagsverträge bekommen, weil ‚verkauft sich ja nicht‘, selbst wenn das nicht der Wahrheit entspricht

Ich habe mit dieser „Denke“ so meine Probleme. Für mich sind Verlage nach wie vor die, die meinen Roman zu einem Buch machen. Aus großer Flughöhe betrachtet und ohne zu berücksichtigen, in welcher Qualität die Bücher hergestellt werden. Aus meiner Sicht gehört zu den Aufgaben des Verlags:

  • Das Buch vorzufinanzieren
  • Das Manuskript zu lektorieren und korrigieren
  • Das ganze Buchdesign, Covergestaltung
  • Werbung, Marketing insgesamt

Selfpublishing ist eine Methode, einerseits selbst für all diese Aufgaben verantwortlich zu sein, wenn man das mag, oder durch Hinzukaufen einzelner Dienstleistungen die Regie über die Entstehung und die Außenwahrnehmung des eigenen Werkes zu führen. Man kümmert sich selbst um:

  • Lektorat, Korrektorat
  • Buchsatz, Bindung
  • Coverdesign

oder man bezahlt für die Leistungen externer. Und damit komme ich zum Thema Marginalisierung zurück. Die allgemeine Haltung von Autoren, die ihre Werke im Selfpublishing anbieten, ist, dass Selfpublisher vom Buchmarkt marginalisiert werden, weil:

Das bezieht sich nicht auf eine Art von Literatur, sondern auf Menschen, die Narrative mitbringen, die sich nicht nahtlos in den kapitalistischen Mainstream einfügen und/oder ihre Leserschaft durch Social Media ect. schon mitbringen

Das ist mir zu abgehoben. Vor allem verklärt es den Umstand, warum es Autoren nicht schaffen, in herkömmlichen Verlagen zu veröffentlichen. Es gibt gerade in Deutschland unzählige Klein- und Mittelverlage, die gerne neue Literatur veröffentlichen. Eine Begründung, doch als Selfpublisher zu veröffentlichen, ist, dass die Kleinverlage alle auf Jahre das Programm voll haben. Andererseits bedeutet das aber auch, dass die Verlage eben junge Autoren unterstützen und fördern und deren Werke verlegen.

Mir kommt manchmal vor, dass die in den Raum gestellte Marginalisierung von Schriftstellern durch den Literaturbetrieb sehr oft auch als Ausrede dient, nicht veröffentlicht worden zu sein. Extrembeispiel: Junger, schwarzer, schwuler/transgender Autor möchte in einem herkömmlichen Verlag veröffentlicht werden und scheitert. Um sich die Wunden zu lecken (und es tut jedem Schriftsteller weh, nicht genommen zu werden. Jedem), stellt er in den Raum und begründet das auch vor sich selbst, damit, dass er wegen seiner Hautfarbe, seinem Alter, seiner Sexualität, nicht angenommen wurde. Veröffentlicht er nun als Selfpublisher und hat ein wenig Talent in Sachen Marketing und ist vielleicht auch noch sehr hübsch, kann er durchaus Erfolge erzielen. Für ihn und die anderen Selfpublisher scheint klar, dass die Verlage ihn wegen seiner Hautfarbe/Sexualität/Alter/Geschlecht/wasauchimmer marginalisieren und sein Erfolg als Selbstveröffentlicher dies nun entlarvt.

Ich meine, wie viele hübsche Mädchen und Jungs haben es schon geschafft, dass ihre Romane gedruckt werden, obwohl sie völlig talentlos sind, weil sie eben jung und hübsch waren?

Und wenn das mit dem Marginalisieren wirklich so ist, werde ich dann auch marginalisiert? Von der Literaturwelt geghostet? Gecancelt, weil ich ein alter, schwuler, weißer Mann bin, der schwule Romane schreibt?

Und marginalisiert das Selfpublishing letztendlich nicht auch alle, die sich den finanziellen Aufwand nicht leisten können oder leisten wollen? Das ist ja alles summa summarum nicht billig.

  • Lektorat und Korrektorat: ~ 3000 Euro
  • Sensitivity Reading: ~ 4500 Euro
  • Buchsatz, Cover, Design: ~ 6150 Euro
  • Druck: ~ 6850 Euro

Ein Buch selbst verlegen zu können (und dabei nicht massenhaft Geld zu verlieren) ist ein Privileg, das viele Menschen nicht haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten selbstverlegten Bücher Verlust machen, bis sich die Autor*innen eine eigene Leserschaft aufgebaut haben. Aber bis dahin können locker zwei, drei oder deutlich mehr Bücher vergehen! Das muss man sich leisten können.

Das ursprüngliche Thema war aber, dass Selfpublisher allem Anschein nach von Literaturpreisveranstaltungen prinzipiell übersehen werden. Mir stellt sich dabei die Frage, woher die Veranstalter von Literaturpreisen von den Werken der Selfpublisher wissen sollen? Meines Wissens reicht ein Verlag das Werk eines ihrer Autoren bei einem solchen Literaturpreis ein. Das macht nicht der Autor selbst. Würden Literaturpreisveranstalter das zulassen, wie viele Hunderttausende Bücher bekämen sie als Einsendungen?

Und wieso geht man in der Selfpublisherszene davon aus, zwar am Literaturbetrieb vorbeiveröffentlichen zu müssen, als freier und selbstverantwortlicher Autor, andererseits aber dann doch den Wunsch zu haben, von ebendiesem Literaturbetrieb wahrgenommen zu werden?