
Das Thema Digital Nomads hat mich schon länger interessiert und wie das bei mir so ist, schlief das Interesse ein, nachdem ich mich sattgelesen hatte. Eine Facette des Themas, die mich ermüdete, war, dass es zwischen dem 9 to 5 Job und dem Digital Nomad nichts zu geben schien in der Debatte, das erwähnenswert war. Das zweite Merkmal, das ich als ziemlich abstoßend wahrnahm: Die Pro-Digital-Nomad Leute haben allesamt das Wirken und Auftreten von Missionaren und Predigern. Was sind Digital Nomads? Im Grunde genommen Leute, die frei und ungebunden, dort leben, wo sie möchten und in scheinselbstständigen Arbeitsverhältnissen remote über Laptop, Smartphone und eine gute Internetverbindung entwickeln, designen, übersetzen, schreiben; Jobs erledigen, für die man nirgendwo vor Ort sein muss.
Sucht man im Internet nach Informationen zu Digital Nomads, findet man auch jede Menge Fotos, die junge, schöne Menschen in instagramablen Settings zeigen. Irgendwo in Spanien, in Thailand, Bali, oder in Lissabon, auf den Kanaren. Alle tiefentspannt, jung und agil mit Laptop und einem coolen Drink neben der Tastatur mit Blick aufs Meer und Palmen. Die Settings wirken dabei zu gewollt, um Echtheit zu vermitteln, und sie stimmen auch nicht mehr ganz mit den Texten zusammen, die man zum Thema lesen kann. Dass es kompliziert sein kann, das Leben als Digital Nomad zu leben. Dass man oft tagsüber neun bis zehn Stunden arbeiten muss, um sich die über AirBNB angemietete Wohnung auf Dauer leisten zu können. Dass man im Falle einer Erkrankung keine finanzielle Kompensation hat und oft auch keine medizinische Versorgung wie da, woher man kommt. Dass man sich oft getriebene fühlt, das FOMO inhaliert, weiterzieht, nirgendwo sesshaft wird und keinen Freundeskreis aufbauen kann. Dass man sich das dann schönredet und verklärt, in dem man sich einer Community von Menschen zugehörig fühlt, die dieselben Interessen zu haben scheint.
Selbst die Informationen, die Digital Nomads Gleichgesinnten zur Verfügung stellen, wirken und lesen sich wie Werbekataloge. Alles Hochglanz, eingebettet in Minimalist-Aesthetic.
Und ich denke, dass ist es, was mich an einem solchen Lebensstil am meisten abschreckt: Dass etwas, das nicht mehr ist als eben eine Art zu leben, soviel Missionierung braucht, so viel Werbung, so viel Idealisierung und verkitschte Ästhetik.
Niemand berichtet über Gehaltsausfälle, Krankheit, Einsamkeit, über Unwetter, Überschwemmungen, Internetausfälle, die Tage und Wochen dauern können. Kaum ein Wort über Konkurrenz, Einsamkeit, kein Wort über Heimatlosigkeit.
Es gibt ein Leben zwischen 9 to 5 Job und Digital Nomad oder Backpacker. Um Hans Rosling heranzuziehen, denke ich, dass sich sogar der Großteil des Lebens der Menschen zwischen den beiden Extremen einschachtelt. Die 9 to 5 Jobs werden weniger, bieten mehr Work-Life-Balance, man arbeitet öfter und öfter von zu Hause aus, am Balkon, vor dem eigenen Pool im eigenen Garten. Man ist beruflich in Festanstellungen öfter unterwegs. Als ich für UPC arbeitete, war ich als Service Manager für das Unternehmen in Prag, Luxemburg, Zürich, Amsterdam unterwegs, habe in lässigen Lounges und Hotelhallen gearbeitet, in coolen Cafés am Wenzelsplatz oder am Ufer der Limat in Zürich. Man kann nicht mehr das Vorurteil gegen den 9 to 5 Job heranziehen, um glaubhaft die Vorteile des Lebens als Digital Nomads zu beschreiben.
Ich kann auf der Terrasse eines Bauernhauses im Umland von Wels arbeiten, einen Radler trinken und bin kein Digital Nomad. Ich kann in der Business Lounge am Flughafen Mails lesen und beantworten und in Confluence interne Wiki-Artikel schreiben, ohne ein Digital Nomad zu sein. Es ist keine Entscheidung mehr für oder gegen, sondern ein Wahrnehmen von Möglichkeiten
Mich schreckt nicht die Idee ab, als junger Mensch die Welt zu bereisen und zu arbeiten, wo man gerade ist, Menschen kennenzulernen und Sprachen zu lernen. Das ist wichtig und gut und richtig. Aber es braucht nicht diesen weinerlichen Pathos, mit dem versucht wird, das Leben als Nomade zu promoten.
Mehr Fakten als Weichzeichner wäre schön. Informationen statt Selbstbestätigung.