Trebol

1990 gab es in Las Palmas, auf Gran Canaria, eine Diskothek namens Trebol. Im Rückblick betrachtet war das Trebol die wohl wichtigste Diskothek der kanarischen Schwulenbewegung. Es lag zentral, direkt an der schmalen Hüfte von Las Palmas in der Calle Dr. Miguel Rosas. Der Urlaub in Las Palmas de Gran Canaria war meine erste Flugreise und zu verdanken hatte ich die einem Freund meines ehemaligen Freundes und Vermieters, Alfi, dem damals das Lokal „Alfis goldener Spiegel“ gehörte. Ihm war ein Reisebegleiter abgesprungen und so landete ich an seiner Seite auf Gran Canaria und hatte mit ihm auch gleich einen Fremdenführer, der sich dort schon ein wenig auskannte.

Wie sich später herausstellte, war es von unschätzbarem Vorteil für einen wenig selbstsicheren und nur halbwegs gut aussehenden Burschen wie mich, in Las Palmas aufzuschlagen und nicht im Süden der Insel, in Playa del Ingles oder Mas Palomas, wo es schon in den Neunzigern die schwulen Touristen aus Österreich, Deutschland und England Nacht für Nacht krachen ließen. In Las Palmas war ich selbst als schwarzhaariger Tourist unter den einheimischen Schwulen der Exote.

Das Trebol war aber nicht nur eine schwule Diskothek, sondern auch noch eine schwule Sauna: Ebenerdig war die Diskothek und in den drei oberen Etagen befand sich die größte schwule Sauna, die man sich vorstellen kann. Ab Freitagnacht konnte man einen kombinierten Eintritt bezahlen und hatte damit von Freitagnacht bis Sonntagabend unbeschränkten Zugang zur Disco und Sauna. Das hatte für viele einheimische Gays einen gewissen Charme, die aus kleineren Ortschaften übers Wochenende nach Las Palmas kamen, um zu feiern. Man konnte sich dort tatsächlich verlieren, zwischendurch Sauna machen, Dampfbad oder eine Massage genießen oder einfach eine Runde pennen, um dann erfrischt weiterzutanzen.

Der Exot unter heimischen jungen Schwulen zu sein, hatte unübersehbare Vorteile für mich. Ich war in jenen Tagen noch sehr schüchtern und ungeschickt beim Flirten, und das schien die Canarios zu reizen – denn die liebten nicht nur das Flirten, sie beherrschten es auch. Ich wurde in meinem Leben nie wieder so unverschämt und verführerisch angeflirtet wie in den Tagen auf Gran Canaria von einheimischen Jungs. Betrunken stellte ich mir vor, wie es wäre, mich in einen von ihnen zu verlieben und zu bleiben und irgendwie Fuß zu fassen – törichte Träume eines 20-somethings, der sich gerade auf den Weg zum Alkoholiker machte. Die freizügige Flirterei und der übermäßige Genuss von Alkohol führten jedenfalls oft dazu, dass ich nach einem hochintensiven Intermezzo mit einem spanischen Burschen im oberen Teil der Trebol-Anlage glückselig um drei Uhr früh im Club tanzte wie ein Blitz in der Nacht und vor Lebensfreude Tränen in den Augen hatte. „Dancing with tears in my eyes“ sozusagen, zu Guro Josh’s Infinity oder Who’s law:

Diese tanzbaren Elegien sind für mich untrennbar mit Las Palmas Anfang der Neunziger verbunden. Mit naiven Flirtereien und eskapistischen Träumen. Das Trebol gibt es schon lange nicht mehr. Ich weiß nicht, was sich dort jetzt befindet, aber ich hoffe, die Gassen zwischen dem Parque Santa Catalina und der Playa de las Canteras haben noch ihren verwuschelten Charme. Kann mich noch an die dichte Bewölkung über der Stadt erinnern, die das rostige Licht der Natriumdampflampen zurückwarf.

Wie eine Flaschenpost geht mit diesem Posting auch ein Gruß raus zu Juani Bello Sanchez, der damals im Trebol arbeitete und für mich zum Inbegriff des Latin Lovers wurde; ein unglaublich gut aussehender Zwanzigjähriger mit schwarzem Wuschelkopf, braunen Augen und einem umwerfenden Lächeln. Soviel ich weiß, war er damals Student in der Universität Las Palmas und arbeitete nebenher auch noch in der Universitätsbibliothek. Der Kerl hat mir 1991 das Herz gebrochen. Wie? Er hat mich mit seiner ganzen Aufmerksamkeit beschenkt, als wir im Feuersturm im Trebol tanzten, uns umarmten und küssten und später auf seinem Zimmer liebten – in einem Rausch, der uns beide nach dem Unmöglichen süchtig machte. Mich mehr als ihn.

1992 hatte ich dann schmerzhaft gelernt, dass ich für ihn nur ein einfacher, kleiner Flirt war. Eine Fingerübung sozusagen, und meine Annäherungsversuche im Sommer 1992 waren ihm sichtlich unangenehm. Das hat mich damals schlagartig ausgenüchtert und aus den Wolken gefischt. Um nicht zu sagen, es war wie ein Schwall Eiswasser aufs Gemüt.

Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an das Gefühl der Freiheit, an die nächtliche Trunkenheit, meine vollkommene Arglosigkeit gegenüber allem und jedem. Dann erinnere ich mich an die Nächte, in denen ich mit einer Dose Bier im Sand saß und zur Brandung raussah und wie die Brandungslinie im Morgengrauen deutlicher wurde. Die fast ängstliche Trauer, wieder zurückkehren zu müssen nach Wien, und nicht damit umgehen zu können. Nicht bleiben zu können um ewig weiterzufeiern, zu lieben, Sehnsucht in die Brandung schleudern und mit Tränen in den Augen wie ein Blitz in der Nacht zu tanzen.