Jérôme und Isabelle

Als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, besuchten wir im Sommer öfter die Eltern meines Vaters, die ein hübsches Haus und einen Swimming Pool an einem Weinberg hatten. Es gab dort einen Steinplattenweg, der vom Haus runter führte bis zum Ende des Grundstücks, an diesem Weg stand eine Hollywoodschaukel und auf der saßen meine beiden Brüder und ich, während die Erwachsenen auf der terrasse des mediterranen Hauses saßen, Wein tranken und erwachsenendinge besprachen.
Diese Sommer erscheinen mir, durch den Filter der Jahre, als ganz wundervoll, weil es einfach nichts gab, das nicht passte, nicht stimmte oder nicht im Einklang war mit den Glücksgefühlen eines Jungen, der sich gerade das erste Mal verliebte, ohne es zu wissen.

Im Fernsehen gab es damals eine Serie mit dem Originaltitel: Le jeune Fabre. Bei uns im deutschsprachigen Raum hieß sie Jerome und Isabel. Glücklicherweise ergab es sich immer so, dass die Serie am Wochenende zu einer Zeit spielte, in der ich genug vom Herumtoben und Äpfelpflücken und plantschen im Pool hatte. Vater und Großvater saßen auf der Terrasse des Hauses und Mutter war mit Großmutter entweder im Keller, um die Einmachgläsr umzuschlichten, Marmelade zu holen oder in der Küche, um irgendetwas zu tun. Das soll nicht geringschätzig klingen – es war mir einfach egal, denn ich war erschöpft vom Sommertag, es war später Nachmittag und es lief im Fernsehen Jerome und Isabel.

Ich wusste nichts von Liebe außer von der zwischen Kind und Eltern, aber ich wusste, dass ich Jerome mochte. Dass ich gerne einen Freund wie ihn hätte und dass er mich so ansieht, wie Jerone seine Isabel in der Serie ansieht. Das ging mir durch und durch. Mein ältester Bruder Paul machte mich auf die Titelmelodie aufmerksam – musste er nicht, denn die war für mich schon längst zu meiner ganz persönlichen Schicksalsmelodie geworden: Demis Roussos: Le jeune fabre

Ich wollte, das weiß ich jetzt, dass Jerome mich so ansieht wie er Isabel in der Fernsehserie ansieht, dass es eine geheime Vertrautheit zwischen uns gibt, die unschuldig ist und doch intensiv, sehr sehnsüchtig und schmachtend und dass seine Blicke – hätten sie einen Klang – so klingen würden wie das Lied von Demis Roussos. Ich weiß noch, dass es Szenen gab in der Serie, bei denen ich Gänsehaut von den Unterarmen bis zum Nacken hatte. Und dass mir manchmal zum Weinen war, obwohl die Szene gar nicht traurig war.

Schwülstig? Ja, natürlich. Ich war dreizehn Jahre alt und ohne es wirklich zu verstehen, in einen arabischen Jungen in einer französischen Fernsehserie verliebt. Ich war in das Leben verliebt, in die Sommertage und Sommerabende und in die Stimme von Demis Roussos, die nach Weinbergen roch, nach Gewitterwolken und Leidenschaft.