
In Zeiten, in denen die Angriffe auf die Demokratie und auf die althergebrachten Werte der Gesellschaft immer lauter und wütender werden, ist man versucht, die eigene Lautstärke der der Angreifer anzupassen.
Was meine ich mit althergebrachten Werten? Ich meine damit die gesellschaftlichen Übereinkommen und Gewissheiten, die das Fundament für Verfassungen bilden und uns als Zivilisation Halt bieten. Dass es Werte und Grundgewissheiten gibt, an denen man nicht rüttelt und dass die, die eben daran rütteln und herumfummeln wollen, dies nicht tun, um diese Werte auszutesten oder neu zu bewerten, sondern um sie zu zerstören. Ihr Verhalten erinnert fatal an das von Menschen, die im Schutz der Menge nach Tauben treten oder die geradezu besessen auf einem knirschenden Sessel wippen um herauszufinden, wann er endlich unter ihnen zusammenbricht.
Welche Ideale meine ich? Dass wir einander wohlwollend begegnen. Dass wir Rücksicht nehmen, ohne uns selbst dabei allzu sehr verbiegen zu müssen. Es ist verblüffend, aber viel von dem, was man früher als „Gentlemen Agreement“ eingeordnet hat, steht heute als Menschenrecht oder Grundrecht festgeschrieben und in den meisten Fällen bauen die Verfassungen vieler Länder auf diesen Grund- und Menschenrechten auf.
Der scheinbare Diskurswille von Menschen, die an diesen Gewissheiten rütteln und sie aufkratzen wollen, ist Heuchelei. Sie wollen der Gesellschaft einen Diskurs über ihre eigenen Grundwerte aufzwingen und dann, wenn es zum Diskurs kommt, die Leute damit brüskieren, dass sie sich darauf eingelassen haben. Das Lieblingsmotto dieser Zerstörer ist: Man muss über alles reden können! Nein, muss man nicht. Man muss nicht über jeden Blödsinn reden nur, weil sich sonst irgendwer in seiner Meinungsfreiheit beschränkt fühlen könnte. Und nein, man muss nicht jedem dahergelaufenen Provokateur Aufmerksamkeit widmen, weil er uns sonst vorhält, wir würden den Diskurs mit ihm verweigern. Ja, ich sehe es als mein verdammtes Recht auf Meinungsfreiheit an, mich nicht mit den Meinungen von Menschen befassen zu müssen, die nur Zerstörung, Gewalt und Zynismus im Kopf haben und sonst nichts zum Wohl der Gesellschaft beitragen.
Dazu gibt es ein Zitat des Vordenkers der Neuen Rechten, Götz Kubitschek:
Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party
Ein großer Teil dieser erbitterten Debatten hat sich in die sozialen Medien verlegt, und, man soll es nicht glauben, in die Kommentarspalten von Online-Boulevardzeitungen, deren Artikel oft nur noch als Stichwortgeber für wütende Kriege dienen.
Wie kann man all dem begegnen, wenn man nicht das Format, die Wut und den Willen hat, 24/7 online für das Gute zu streiten, für das Richtige, für Grund- und Menschenrechte? Wenn man nicht dazu geschaffen ist, sich all dem geballten Hass zu stellen, der Abgefeimtheit, wenn einem die Stimme versagt, wenn man weiß, dass man niemals laut genug sein kann, um sich Gehör zu verschaffen?
Auf News verzichten und sich einer vampiresken Diskussionskultur entziehen, so wie das Rolf Dobelli vorschlägt. Durch den Konsum und die Reaktion auf News gewinnt man nichts. Keine Informationen, bessere Entscheidungen zu treffen, keine Erkenntnisse, die wichtig sind.
Sich generell aus den sozialen Netzwerken zurückziehen. Gerade jetzt, wie man rund um die Wiederwahl von Donald Trump sieht, sind die Broligarchen-Freunde von Trump drauf und dran, die Meinungsfreiheit zu zerschießen, in dem sie sie in eine Travestie verwandeln. Da muss man nur lesen, wie sich Zuckerberg über Wokeness äußert und was Musk auf seiner hauseigenen Plattform X so postet.
Eine Art Repatriation weg von den ausgelagerten Meinungsstätten wie X, Tiktok, Instagram, Facebook, RedBook und wie sie alle heißen, und hin zu offenen Standards wie Fediverse oder noch besser, wieder bloggen und sich mit anderen Bloggern vernetzen. Keine Limitierung der Zeichen, keine Zensur, kein Algorithmus, der einen begräbt oder ghosted. Repatriation ist im Übrigen ein Trend großer Unternehmen, ihre eigenen IT-Lösungen nach einem Cloud-Rausch wieder selbst zu hosten. Einer der Vorreiter ist das australische Unternehmen Fastmail.
- Schreibt Kurzgeschichten und Romane, so gut es geht und umgeht bei Eurer Öffentlichkeitsarbeit konsequent alle Booksta* Plattformen, die sich auf großen Socialmedia-Plattformen etabliert haben.
- Geht den Weg über Verlage und schlagt einen Haken um Grossisten wie Amazon, so gut es geht. Ich weiß, dass widerspricht dem Wunsch, von möglichst vielen Menschen wahrgenommen werden zu können. Oder veröffentlicht im Selbstverlag, wenn Ihr die Mittel dazu habt
- Unterstützt eher Startups und kleine Anbieter. Lasst Euch nicht einreden, Meinungsfreiheit sei untrennbar mit Reichweite verbunden. Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, und Grundrechte binden stets nur den Staat. Hat mir Reichweite genau gar nichts zu tun.
- Hört auf, so streamline zu sein. Seid bockig, nehmt eigene Wege, seid bereit zu glauben, aber glaubt nicht alles.
- Man kann ungehorsam schreiben. Man kann Bücher und Geschichten, Glossen und Essays schreiben über Menschlichkeit, Würde und zivilen Ungehorsam. Man kann Menschen am Rand der Gesellschaft thematisieren …
All das wird Euch vielleicht nicht berühmt machen oder gar reich. Aber Ihr helft dabei mit, den Kanon der Menschlichkeit nicht verstummen zu lassen. Sollen die verbiesterten Infowarriors doch an ihrem eigenen Gift auf den großen Socialmedia-Kanälen dahinsiechen; freidenkende Menschen und Alternative waren schon immer gut darin, die Konformität links liegen zu lassen und sich eigene Wege zu suchen. Man muss nicht dort sein, wo alle sind, und mit denen gemeinsam in ihrem eigenen Sumpf baden.
Vielleicht sollten wir alle wieder ein bisschen mehr verträumte Kiffer und Genussmenschen sein, als endoptimierte Drohnen, einsame Spaziergänger, als Herdentiere, Denker sein, statt massentaugliche Mitläufer. Dafür gibt es vielleicht weniger Likes aber mehr Leben.