Obwohl ich mich mit IT schon sehr lange befasse, halte ich mich für keinen Spezialisten. Ich habe vor langer Zeit den MCSA gemacht (Microsoft Certified Systems Administrator) und dementsprechend lange die Windows-Schiene bedient. Damals war die ganze Welt Windows oder Mac. Dass es Linux gab, war mir bewusst, aber da blieb mir vor allem das „angebliche“ How to 15 in Erinnerung. Darin stand sinngemäß, man solle während der Installation von Linux jede Menge Bier trinken. Das würde zwar nicht helfen, aber das Scheitern im Rausch erträglicher machen. Damals (so 1999) musste man sich noch selbst einen Kernel kompilieren und Treiber programmieren. Heute ist das Installieren von Linux auf einem handelsüblichen Notebook oder PC fast einfacher als Windows neu zu installieren. Man doktert mit einer Live-Version herum, schaut, obs einem taugt, und wenn alles im grünen Bereich ist, installiert man es. Die vielen Linuxdistributionen haben jetzt alle grafische Paketverwaltungen und das Nachinstallieren oder Entfernen von Software ist so leicht wie nie zuvor.
Was einen Linuxanfänger manchmal abschreckt, ist der Ton in den Hilfeforen der Distributionen oder den Foren auf Reddit. Viel zu oft bekommt man da als Einsteiger auf eine Frage zu dieser oder jener Herausforderung die Antwort: Hey, ist ganz einfach, die gibts diese oder jene Befehle in die BASH ein, holst das Log-File, ladest das hier hoch und geht schon. Oder: Wenn Dein Notebook den Fingerabdrucksensor nicht erkennt, da bau Dir doch selbst einen Treiber. Na hahaha.
Diese Patzigkeit ist einerseits verständlich. Noch immer befassen sich sehr viele Leute mit Linux, die damit etwas IT-elitäres zu tun meinen. Das sind die, wenn sie eine Wohnung suchen, die nach einem „Bastlertraum“ suchen, um sich so richtig austoben zu können. Dass Linux letztendlich damit steht und fällt, wie gefällig und leicht zu handhaben ist, leuchtet diesen Leuten nicht wirklich ein.
Gerade jetzt, wo das Misstrauen gegen „fertige“ IT-Lösungen aus den USA rapide ansteigt, und viele Menschen nach Alternativen suchen, die einen PC einfach nur nutzen wollen, und nicht ihn beherrschen, bis in den Programmcode hinein, könnte die Linux-Community offener werden und Einsteiger etwas freundlicher bei der Hand nehmen.
Jetzt ist viel die Rede von digitaler Souveränität, und die lässt sich wohl am ehesten mit Open-Source-Software erlangen. Das ist nicht nur eine Aufgabe für High-End-Spezialisten, sondern kann seine Breitenwirkung wohl am ehesten entfalten, wenn möglichst viele Standarduser zu folgenden Überlegungen kommen:
- Wie mache ich mich unabhängig von Unternehmen, die mich als Bürger gängeln wollen?
- Was muss ich tun, um zwar am digitalen Leben zu partizipieren, aber bitte zu meinen Bedienungen?
- Wohin ist der Revoluzzer verschwunden, der ich mal mit sechzehn Jahren war?
- Warum bin ich in meinen Ansprüchen so streamline geworden?
- Wohin ist mein Wunsch verschwunden, die Dinge auf meine eigene Art zu erledigen?
- Wieso lasse ich es zu, dass mich die Großkonzerne in ein konsumgeiles, gesteuertes Kleinkind verwandeln?
Ich bin vor geraumer Zeit nicht nur auf Linux umgestiegen, sondern habe auch meine Herangehensweisen ernsthaft hinterfragt. Vorausschicken möchte ich, dass ich Open Source nicht gleichsetze mit gratis. Es darf etwas kosten, und ehrlich, die Provider von Privacy-First-Lösungen nehmen einem nicht das Weiße aus den Augen. Mein persönlicher Paradigmenwechsel war der Sprung von „ich will alles haben, was geht“ zu „nur das, was ich wirklich brauche“. Digitaler Minimalismus, könnte man das nennen.
Um mit den Big-Playern mithalten zu können, müssten die Open-Source-Lösungen noch gefälliger werden, einfach zu benutzen, hübscher. Viele setzen das bereits um. Ich meine, Linux Mint, Ubuntu oder Zorin Linux sind wirklich schöne Betriebssysteme.
Zuerst einmal scheint es mir wichtig zu unterscheiden zwischen dem, was man für das tägliche Online-Leben braucht und was man so allgemein als „Nice to have“ einzirkelt.
Ich bin sehr genügsam und mein aktuelles Setup sieht so aus:
- Betriebssystem auf Huawei Matebook 14: Linux Mint
- Office: Onlyoffice
- Mail, Kalender, Kontakte: Anbieter: mailbox.org, Client: Thunderbird
- Browser: Firefox
- Notiztool: Standardnotes
- Cloud-Backup (und nur als Backup): pcloud.
- Bildbetrachter: Pix
- Markdown Editor: Apostrophe
Mehr brauche ich nicht, und bis auf Standardnotes, pcloud und Onlyoffice kommt alles vorinstalliert mit Linux Mint. Auch ein PDF-Betrachter ist mit an Bord. Und was fehlt, bekomme ich mühelos über die Paketverwaltung – mit der Sicherheit, dass eine Community darüber wacht, dass sich da keine Blödheiten einschleichen.
Mir gibt die Benutzung von Open Source das Gefühl von mehr Autonomie, mehr Kontrolle – und das Wissen im Hinterkopf, dass Open Source nicht einer industriellen Elite gehört, ist auch schön.
Ich rate allen, die ihren „Peter Pan“ und die „verlorenen“ Jungs noch in sich spüren, es mal mit Linux zu versuchen. Das eigene Mindset hinterfragen, neue Wege suchen, frei nach Robert Frost im Winterwald den weniger begangenen Weg zu wählen, denn dies macht den Unterschied.
Der Pfad, den ich nicht nahm
Zwei Pfade teilten sich in einem gelben Wald,
und betrübt, dass ich nicht beide nehmen konnte
und ein einzelner Reisender war, stand ich lange
und sah einen Pfad entlang, so weit ich konnte,
bis zur Kurve, die er ins Dickicht nahm;
Dann nahm ich den anderen, genau so schön,
und der vielleicht mehr Anrecht darauf hatte,
denn er war mit Gras bewachsen und wollte begangen werden;
so dass dadurch, mein Wandeln dort,
beide in etwa gleich begangen waren.
Und beide lagen an diesem Morgen gleich,
mit Blättern bedeckt, die kein Tritt geschwärzt hatte.
Oh, ich behielt den ersten einen weiteren Tag im Sinn!
Doch wissend, wie ein Pfad zum nächsten führt,
zweifelte ich daran, je wiederzukommen.
Ich sollte dies mit einem Seufzer erzählen,
irgendwo, nach Jahren und Jahren, die vergangen sind:
Zwei Pfade teilten sich in einem Wald und ich-
Ich nahm den weniger begangenen Pfad,
und das machte den ganzen Unterschied.