Threads

Nach nur zwei Wochen gebe ich mein Profil bei Threads wieder auf. Selten – noch nicht einmal bei Twitter – habe ich eine solche Ansammlung von Menschen erlebt, die bei dem Versuch, das Toxische, vor dem sie fliehen, auszuschließen, selbst im Höchstmaß giftig und zerstörerisch werden. Snowflakes mit Stacheln sozusagen, blutrünstige Einhörner.

Threads kommt mir vor wie eine Holzplanke im eisigen Atlantik, und von einem sinkenden Schiff paddeln nassfellige Ratten hinüber und krabbeln übereinander, um sich die beste Position auf der schaukelnden Planke zu sichern. Die Gehässigkeit ist widerlich, das Auf- und Abgehüpfe um Aufmerksamkeit abstoßend. Like4Like, Follow4Follow, das Generieren von Aufmerksamkeit durch das Hochjazzen vollkommen banaler Alltagsthemen, hyperwoke Selfpublisher, die eigentlich nur talentlos Selbstdarsteller sind, Hochstapler, Wichtigmacher und Poser. In ihrem Bemühen, sich eine besser Bleibe zu schaffen als bei Twitter, vergiften die Leute die Plattform und sie ist bereits imprägniert von Meinungsscheiße und seelischem Erbrochenem.

Zeit zu gehen.

Die Notizbücher

Die Moleskine-Jahre

Mein erstes Notizbuch war ein unliniertes A6 Büchlein von Moleskine mit Softcover, der Klassiker. Die Marke nutzte ich dann über neun Jahre und füllte etwa zehn Bücher. Zwischendurch kaufte ich die A5-Version liniert, einmal versuchte ich, einen Kalnder zu führen, ließ das aber, weil ich zu der Zeit, also rund um 2016-2017 intensiv den Google Kalender nutzte.

Der Gedanke, das Motiv dahinter, meine Gedanken in Notizbücher zu schreiben, hatte schon etwas mit dem Wunsch zu tun, etwas mit Stil zu tun. Dachte ich zumindest. Das Gefühl wurzelte jedoch auf einer wesentlich tieferen Ebene, wo ich dachte, dass es Gedanken und Ideen gibt, die nur mir gehören sollen. Nur für mich zu schreiben, nicht, um mich später an dies oder das zu erinnern, sondern um mich im Moment des Schreibens zu erinnern.

Ich kaufte meine Notizbücher im stationären Handel. Das heißt nicht, dass ich in ein geheimes Papierwarengeschäft in der Innenstadt ging, wo ein alter Mann, wie der in der Buchhandlung in dem Film Die unendliche Geschichte, in der Ecke sitzt und grantig über den Rand seiner Brillen blickt – nein, ich kaufte die Notizbücher bei Thalia und nutzte die Gelegenheit und trank dort dann auch mal Kaffee und gustierte, was es sonst noch an Notizbüchern gibt.

Leuchtturm und Bulletjournal

Etwa ein Jahr lang versuchte ich, mit dem Bulletjournal warmzuwerden, das von Leuchtturm1917 nach dem Entwurf von Ryder Carroll produziert wird. An und für sich gefiel mir das Herumgepussel mit den Vorgaben, stellte aber fest, dass ich nicht vorhatte, mein Leben damit zu organisieren. Für Kritzelei, Sticker aufkleben und Absätze reinschmeißen, war mir das Bulletjournal dann doch zu konzeptionell. Ich bevorzuge Canvas, die leere Leinwand.
Ich führte das Buch nicht zu Ende und kaufte mir stattdessen zwei sehr schöne Notizbücher von …

Beechmore

Die Notizbücher von Beechmore sind edel. Ganz einfach. Sie haben dickes Papier, auf dem man gut schreiben kann, sie liegen gut in der Hand und der weiche Ledereinband fühlt sich wertig an. Ich habe zwei davon gekauft, einen für die Arbeit und einen für private Angelegenheiten. Ich hatte mich für die Edition in kastanienbraun, Größe A5 entschieden. Das private Buch habe ich vollgeschrieben, das für die Arbeit … nun ja, da habe ich noch Platz. Mir würde eine A6-Variante der Beechmorebooks gefallen, die scheint aber derzeit nicht verfügbar zu sein.

Auf der Suche nach etwas anderem, etwas Neuem, fand ich durch einen Kollegen, der so ziemlich alles, was er tut, mit Stil tut –

Paper Republic

Paper Republic hat seine Manufaktur in Wien, kauft aber Produktteile aus Frankreich und Belgien hinzu. Bei den Notizbüchern von Paper Republic geht es weniger um Notizbücher, als vielmehr um ein Konzept, wie man die Dinge, die man schriftlich festhalten will, bündeln und zusammehalten kann. Das Konzept sieht vor, einen Ledereinband zu haben, in den man austauschbare, beziehungsweise immer neue Notizbücher mit Gummiband hineinfixiert. Sowohl die Qualität des Leders wie auch des Papiers sind unschlagbar gut. Der Preis ist nobel; für ein Paper Republic Grand Voyageur XL legt man schon 60€ hin. Das ist nicht ganz ohne. Tröstlich, dass man zumindest den Umschlag nur einmal kaufen muss. Alles andere kann man dann als Subscriber mit 20% Nachlass recht kostengünstig nachkaufen. Vielleicht kaufe ich auch ein zweites Set für Reisenotizen, also die Pocket-Version

Als Schreibwerkzeug nutze ich jetzt einen Caran d’Ache 849 mit blauer Mine. Das Ding kostet wohlfeile 22€ und schreibt schöner als mein Waterman Hémisphere oder der schwarze Parker Tintenroller. Die Moleskine Kugelschreiber würde an und für sich ganz gut schreiben und ich würde sie öfter nutzen, aber sie liegen sehr ungut in der Hand und machen einen alles andere als wertigen Gesamteindruck; so als würden sie beim nächsten mal Mine rausdrücken, auseinanderfallen.

Mit der Hand

Mit der Hand zu schreiben – glaube ich – erfordert mehr Hingabe und Fokussierung, als irgendetwas in eine Notizapp zu tippen. Schreibt man mit der Hand auf Papier, widmet man sich der Sache, die man festhalten will, mit mehr Ernsthaftigkeit. Notizapps machen den User zu Informationsmessies. Quantität vor Qualität. Mit der Hand zu schreiben bedeutet auch, genauer darüber nachzudenken, was es wert ist, notiert zu werden und was weggelassen werden kann. Man trifft die Entscheidung intuitiv, während man kritzelt. Das Hirn arbeitet freudiger, kommt mir vor. Und schlussendlich ist es auch Zeit, die man sich für sich selbst nimmt.

Dass jetzt, in der vermeintlichen Endrunde der Coronakrise, die Menschen sich vermehr alternativen Lösungsansätzen zuwenden und oft nach Lösungen jenseits von Internet, PC und Smartphone suchen, zeigt mir, dass das Dauergedröhn der Informationskrieger nicht mehr beeindruckt sondern ermüdet. Dass der Zwang, präsent zu sein, zunehmend als Belastung wahrgenommen wird, und dass die Menschen den Begriffen „privat“, „autonom“ und „souverän“ mehr Bedeutung beimessen.

Dreht den ganz Social Media Krempel ab, geht raus, nehmt ein Notizbuch mit und schreibt, um Euch im Moment des Schreibens zu erinnern. Nein, nicht Fotos machen. Schreiben. Mit der Hand auf Papier. Nur für Euch selbst – als Privatpersonen.

Das Private

Der Motor der Zerstörungsmaschine des Privaten ist die Sehnsucht des Menschen nach Anerkennung. Für Leistung, Besitz, für die Familie, für die Lebensweise. Die sozialen Medien machten aus diesem Bedürfnis eine Travestie, in dem sie Anerkennung von einer möglichen, vorangegangenen Leistung entkoppelten. Du zeigst im Internet Babyfotos, mit schicken Filtern bearbeitete Stills von der Urlaubsreise oder unzählige Bilder von Dir selbst, und wirst dafür geliked. Du musst nichts Besonderes sein oder leisten, um geliked zu werden. Du musst nur das Private aufgeben und Dein Leben in den Schaukasten stellen, um gemocht zu werden. Das ist verführerisch, denn überall lauert die Belohnung und die Belohnung ist an keine besondere Qualität mehr gebunden. Sei Du selbst, ganz natürlich wie Du bist (ein paar Filter hie und da betonen doch nur die Natürlichkeit, oder?), und schon wirst Du gemocht.

Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie es wäre, wenn Du vormittags zum Hofer einkaufen gehst, und die Leute, die dort gerade Einkaufswagen an sich nehmen oder zurückgeben, die gerade aus ihren Autos steigen oder die Einkäufe verladen, unterbrechen, was sie gerade tun, sehen Dich voller Hochachtung an und klatschen und zeigen Daumen hoch und Du hast keine Ahnung, warum …

Das verallgemeinerte Gemochtwerden zerstört das Fundament tiefer, innerer Zufriedenheit mit sich selbst. Du musst Dich nicht mehr vor Dir selbst rechtfertigen, Dich für erbrachte Leistungen loben und mit Dir selbst ringen, um vor Deinen eigenen Augen Anerkennung zu finden. Du musst nur Facebook aufmachen, ein Foto von Dir posten mit einem halbklugen Satz vom Wandkalender, und Du wirst geliked, geherzt und von allen geliebt. Weil Du einer von ihnen bist, zur Schar gehörst und den neuen Status Quo bestätigst, in dem Du mitmachst.

Dass das alles hohl ist, nicht trve, spürst Du wie ein fernes Säuseln. Du kennst den Unterschied zwischen einer Plastikbrille von Wish und einer Ray Ban, Du kennst den Unterschied zwischen 12€ Schuhen und Bugatti. Dein Verstand kennt den Unterschied zwischen echter Resonanz und sozialen Medien. Und trotzdem wählst Du Plastik, Ramsch und Tineff. Weil Dir der Wert der Sache gar nicht mehr so wichtig ist wie die Quantität. Um den Preis einer Ray Ban bekommst Du 70 Plastkbrillen bei Wish und damit 70 x das Gefühl der Belohnung. Du spürst, dass das Leben hohl geworden ist und an geschmack verloren hat. An Echtheit und Resonanz. Da hilft nur eins: Die Ablenkung lauter drehen. Noch mehr Bilder, noch mehr vollmundige Postings, noch mehr Videos. Likes sind die Zigaretten von heute und die Social Media Manager sind die Drogendealer unserer Zeit. Und in der Welt, die sie Dir zur Verfügung stellen, hat das Private keinen Platz. Es ist egoistisch, kontraproduktiv und schädlich.

Das Private ist keine Verschlüsselung oder eine Sicherheitseinstellung, und es ist mehr als nur ein Konzept. Es ist eine Lebenseinstellung.
Natürlich kann man Verschlüsselungstechnologien verwenden und Mailserviceprovider, die großen Wert auf Datensicherheit und Privacy legen – die Frage, die man sich zuerst stellt, sollte aber immer sein: Brauche ich das wirklich Oder will ich es nur, weil es chic ist? Weil es sich so schön anbietet und professionell rüberkommt?

Privatheit bedeutet in diesem Zusammenhang auch: Ausräumen und entrümpeln. Weg, was man nicht wirklich braucht, Platz machen, die scheinbare Verpflichtung, Apps zu nutzen, weil sie so fancy sind, so produktiv zu machen scheinen – weg damit. Privatheit bedeutet auch, sich auf das Besinnen, was einem wirklich wichtig und wertvoll scheint und darin etwas entdecken, das man durch Privacy schützen will.

Am Sommerberg

Heute war ich bei meinen Eltern auf Besuch, um Mama mit dem Mailprogramm zu helfen und um gemeinsam den alten Kühlschrank zu verschieben.

Das war eine Nachwehe vom gestrigen Familienbesuch, als wir uns alle in Biedermannsdorf trafen, um ein Familienfoto zu schießen. Richard wollte nach dem Essen beim Fahrradheurigen Holzgruber nach Hause, weil ihm der Fuß wehtat. Deshalb fuhr ich heute allein raus, tankte bei der Gelegenheit das Auto, wusch es und saugte den Innenraum. Das ist alles nur Geplänkel, die Vorgeschichte. Auf dem Weg nach Hause beschloss ich, beim Gemeindeteich von Biedermannsdorf einen Zwischenstopp einzulegen und auf dem Feldweg nach hinten zu gehen, am Teich vorbei, in der stillen Hitze des Tages, im Geruch des trockenen Grases. Ich versuchte nach Echos zu lauschen. Die Erinnerungen sind angestaubt, aber sie sind da. Als ich vor 40 Jahren hier entlang ging.

Von zu Hause gegen 10:00 am Birkenweg zum Teich, der damals noch zum Wildbaden war – kein Zaun, keine Uferbegrünung, keine Kantine. Fritz Kling, Peter und Franz Jägersberger, Michael Zraly, Reinhold Atlas, ich und seufz Walter Kroboth. Mir fiel heute ein, dass wir damals an einem Sommertag ein Foto da oben gemacht haben: von links nach rechts: Reinhold, Fritz, Michael, Peter. Vielleicht war es auch im Herbst, doch es war vor 40 Jahren. Damals lag die Welt vor mir, frisch und glitzernd wie das Ejakulat aus dem ersten feuchten Traum eines Jungen.

Ich konnte beinahe durch die Jahre hindurchgreifen und denselben Tag spüren. Ich roch ihn, ich war ihm nahe, nur durch eine Membrane getrennt, die Leben heißt. Die rotzige Obszönität von Michael, die engelhafte und ernste Schönheit von Fritz. Walter tragische, ungarische Eleganz und Schönheit, Reinholds Erwachsensein. Die Freunde meiner wirren Teenagerjahre. Der Geruch von Sonnenmilch und Seewasser, wie wir uns gegenseitig mit Wichsbewegungen jagten und mit Sonnenmilch anschweinten, von der Zukunft träumten und schwadronierten, wenn wir nass und schwer atmend auf den Badetüchern lagen.

Ich stand da oben eine Weile. Die schräg geschlichteten Stahlbetonplatten, auf denen sie gesessen hatten, als ich das Foto geschossen hatte, damals im Sommer 1982, die sind weg. Die Hitze und die Stille sind noch da, die Felder und Sträucher auch. Ich ging zurück über den Feldweg zum Parkplatz, wo ich das Auto abgestellt hatte, hörte den Wind in den trockenen Blättern der Bäume rascheln.

Meine Güte, waren wir lebendig!

Cyborg me – Zukunftsvisonen in Moll

Der Roman Cyborg me war als alleinstehendes, kurzes Werk gedacht, in dem ich auf literarische Weise die Filmmusik von Vangelis zum Film Blade Runner darstellen wollte, ohne direkt auf den Film zu referenzieren. Es geht wieder um eine Liebe zwischen Mensch und … nicht ganz Mensch. Um eine Zukunft, die ebenso berauschend ist wie beängstigend. Aber noch mehr: Die Geschichte eröffnet mir eine Möglichkeit, die Vorvorgeschichte zu meinem Roman Die Inseln im Westen zu erzählen. Und auch zu Coda – der letzte Tanz. In nicht all zu naher Zukunft werde ich mich daran machen, die nächste Geschichte schreiben, die in diesem Universum spielt: Wie die Welt, wie wir sie kennen, zerstört wird durch einen Tortur Doll, der in seinem Leben als Mensch ein Elitesoldat der sibirischen Befreiungsarmee war. Samson und Max werden zu einer Art Moses-Gespann, das mit Menschen, die ihnen glauben, zu einem Weltraumschrottplatz in Mittelamerika gehen, um dort aus den Trümmern alter Frachter ein Arche zu bauen. Das Ende wäre die Erklärung, wie die Planeten Nib und Amid entstanden und das planetare Trümmerfeld, das diese Welten umfasst, so wie der Kojpergürtel unser Sonnensystem umfasst …

Damit bestünde die gesamte Geschichte folgende Romane – geschrieben, in Planung und/oder in weiter Ferne:

  • Cyborg me (veröffentlicht)
  • Trümmerwelt (Der Nachfolgeroman, noch nicht in Planung)
  • Die Inseln im Westen (veröffentlicht)
  • Coda – der letzte Tanz (veröffentlicht)
  • Nibis Amida (Rohmanuskript unter dem Arbeitstitel „Sphere“ fertig)
  • Das kalte Universum (letzter Teil, Rohmanuskript begonnen, ca 30%)

Gerüche, die das Leben begleiten

Weil es mir gerade durch den Kopf geht: ich habe Euch noch nie davon erzählt, wie sehr ich gute Gerüche mag. Tatsächlich habe ich mein sehr laienhaftes Interesse an Parfums mit einundzwanzig Jahren entdeckt, als ich mich aus einem sehr unerfreulichen Abschnitt meines Lebens befreite und neu anfing (nicht, dass dieser Neuanfang von Erfolg gekrönt war. Das dauerte noch sehr lange …)

Das erste Parfum, das ich bewusst als Parfum, als Herrenduft wahrnahm, war Cacharel Pour L´Homme. Der Mann, Franz, der mich seinerzeit 1988 aufnahm, als ich mehr oder weniger obdachlos war, hatte einen Freund, Schiel genannt, der in einer Drogerie arbeitete und immer wieder Testflaschen mitbringen konnte. Cacharel also. Das war, soweit ich mich erinnern kann, ein zitronig-herber Geruch, den ich wirklich mochte. Bis dahin hatte ich mit solchen Düften nichts zu tun, Ich kannte nichts Intensiveres als Axe Duschgel.

Im März 1990 war ich das erste Mal in meinem Leben mit dem Flugzeug unterwegs. Das Ziel war Gran Canaria. Der Besitzer des schwulen Lokals „Alfis Goldener Spiegel“, Alfi himself, hatte mich eingeladen, eine Woche in Las Palmas zu verbringen.

Das war mein erster echter Urlaub als Erwachsener, also als junger Erwachsener. Ich war auf einer Insel im Atlantik und berauscht von den Gerüchen: Der Geruch des Meeres, des Schwemmholzes, Sonnenöl, gebratener Fisch, gekochte Kartoffel, weiter drin im Landesinneren, der Geruch von Nadelhölzern und Eukalyptusbäumen, in der Gegend um Tejeda, der Duft von Mandeln, und dieser bezaubernd, irritierend hübsche Canario namens Sergio (weißes Hemd, bis zum Brustbein offen, braun gebrannt, schwarze Locken, hellbraune Augen – ich war fix und fertig) Und er roch berauschend. Wir trafen uns einige Male am Strand, abends in den von Leben durchfluteten Gassen von Las Palmas, ein paar Mal in der Disco Trebol. Sein Duft wurde für mich zu einem integralen Bestandteil seiner Person, und als wir dann einmal an einem gewittrigen Tag in seiner kleinen Wohnung in Las Palmas intim waren, wirkte sein Parfum auf mich wie Poppers. Es handelte sich dabei um Dior Fahrenheit.

Dieses Parfum liebte ich jahrelang. Gleichzeitig mochte ich Lagerfeld Classik – es riecht, wenn ich mich richtig erinnere, nach Mandeln. Ein anderes Parfum, das ich immer mochte, war Issey Miyake pour homme, das auch sehr zitronig und würzig riecht.

Ein Parfum, das ich zwei oder drei Jahre lange nutzte, so um 2015 – 2019, war Totem Orange von Kenzo. Eine limitierte Serie, die dann mal aufgelassen wurde und nie wieder nachproduziert wurde.

Das hatte eine ganz eigene, erdige Frische und für eine Zeit lang war das für mich der Geruch von Kuba. Der Geruch ist für mich verbunden mit der vor Lebendigkeit zitternden, feuchten Natur des kubanischen Landes, es riecht nach einem Strand im Sommerregen, nach Regen, der auf Palmen fällt. Es riecht nach dem Malecon in Havanna, nach Gesprächen nach Mitternacht unter dem Mond, der über dem Golf von Mexiko steht wie hingemalt.

Ein anderes Parfum, das ich von 2014 bis etwa 2015 nutzte, war Nuit D‘ Issey

Das mochte ich, weil der Duft für mich fast nicht einzuordnen war. Vielmehr vermittelte es mir eine Art Lebensgefühl, das ich mochte. Jemand, der Übung darin hat, Parfums zu beschreiben, könnte das wohl besser auf den Punkt bringen – ich kanns nur so weitergeben:

Dabei ist der Duft recht dezent. Ich denke, er hat ähnlich wie BPH die Fähigkeit, bei einem passenden Träger mit dessen Eigengeruch zu verschmelzen, sodass man gut, aber eben nicht parfümiert riecht

https://www.parfumo.de/Parfums/Issey_Miyake/Nuit_d_Issey

Jetzt, 2022/23, haben Richard und ich unsere Regale im Badezimmer ein wenig bereinigt und wir verwenden n erster Linie drei Parfums, die allesamt eher holzig/fruchtig/erdig wirken: Tom Ford Oud Wood, Tom Ford Tobacco Vanille und Xerjoff Naxos. Obwohl ich Richard das Tobacco Vanille geschenkt habe und das nun in unserer Familientradition seines ist, benutze ich es hin und wieder gerne, weil ich dem Geruch einfach baden kann. Xerjoff Naxos habe ich zum Geburtstag bekommen und das ist jetzt quasi mein Geruch. Das Parfum umfasst so ziemlich alle Düfte, die ich mag und kombiniert sie sehr harmonisch (Tabak, dunkler Honig, Kardamom, Tonkabohne …), aber es hat noch keine Geschichte in meinem Leben, mit dem ich es verknüpfe. Das kommt erst. Es passt für mich gut zur Adriaküste, hat etwas von Abenden an der slowenischen Felsenküste, der Triestiner Bundesstraße, dem Limski Fjord im istrischen Kroatien. Orte, die ich jetzt mit Urlaub, Freizeit und Lebensfreude verbinde.

Wenn ich mich mit der Geschichte meiner Vorlieben für Gerüche befasse, stelle ich schon fest, dass sich mein Geschmack diesbezüglich einerseits aus Begeisterung für einen bestimmten Menschen (Sergio zum Beispiel, Juany Sanchez auch, oder Richard, der immer irgendwie gut riecht) entstand, oder aus Vorliebe für Material und Orte. Ich mag den Geruch von Gras nach einem Sommerregen, den Geruch von Holz, wenn man Holz sägt, ich mag den Geruch von tiefen Wäldern, von vegan gegerbten Leder. Ich mag aber auch den Geruch von Kaffeebohnen, von süßem Holz, und ich mag Minze, den Geruch von Grapefruit, Orangen und Limetten. Ein Mojito ist für mich quasi ein Parfum, das man trinken kann 🙂

Gerüche erinnern mich auch an meine Kindheit. An die Campingplätze, auf denen wir Sommerurlaube verbrachten, an nächtliche Abenteuer. An Wanderungen im Gebirge, Moose auf Felsen, Wildbäche und im Frühherbst überreife Beeren in stacheligen Gebüschen. Gerüche sind wie Anker, die mein vorwärtsstrebendes Jetzt mit meiner eigenen Geschichte verbinden.

Als Nächstes brauche ich wieder etwas Minziges. Ich denke da an Kobe Gardens von The nose behind. Für den Sommer …

Bilder, die wir nicht schossen

eine mechanische Spieluhr, rostig
auf Wüstenboden
ein Schweißtropfen auf
sonnenmüden Wimpern
nasse Pferde, matt, unter einem
titanischen Himmel

Eine betende Frau
und einen unrasierten Mann
eine tote Katze mit staubigen Augen
aus deren Bauch eine blutnasse Ratte kriecht
zwei schwarze Jungs
die Freude aneinander haben

Die Spieluhr kratzt und spielt
alte Augen suchen die Ferne ab
die Zeit flimmert
wo die Wüste endet
und das Meer beginnt

Ein Junge schleppt Seile
zusammengerollt den Bootssteg entlang
Wellen schlagen müde die Boote
Sand weht über den Steinweg
die Wellen sind weiß und dumm
und zerbrechen die Zeit

Peter Nathschläger, Havanna, 2012

Die Länge eines Romans

Wann immer ich an einer Geschichte schreibe, muss ich von Neuem lernen, dass die Länge, die eine Geschichte für sich selbst wählt, sich maßgeblich davon unterscheidet, was ich für sie vorsehe. In Literaturforen wird oft darüber diskutiert, wie man eine Geschichte strecken kann, um in die vermutete Länge eines Epos zu kommen. Irgendwie scheinen es vor allem Schreibanfänger darauf abzusehen, in den „mehr als 500 Seiten“ Olymp zu kommen. Dabei haben es zB Hemingway mit „Der alte Mann und das Meer“ oder Marquez mit „Chronik eines angekündigten Todes“ so wunderbar vorgemacht: Große Literatur braucht nicht viele Seiten. William Golding, Juan Rulfo, um nur zwei weitere zu nennen, die mit ihren Meisterwerken nicht viele Seiten beanspruchen (Der Herr der Fliegen und Pedro Páramo).

Derzeit schreibe ich an einer kleinen Liebesgeschichte, für die ich ursprünglich rund 190 Seiten vorsah und entdeckte jetzt beim Verfassen der Rohversion, dass es bestenfalls 100 Seiten werden, wenn ich nicht Luft in die Geschichte pumpe. Und das will ich nicht. Denn in einer Geschichte soll nur drin sein, was die Geschichte rechtfertigt. Was sie stützt und verständlich macht. Stephen King nannte die Länge von rund 100 Seiten einmal das Niemandsland für jeden Schriftsteller. Für jemand, der literarisch (Eigendefinition) immer nur Big Mac mit Fritten lieferte, mag das stimmen. Als Schriftsteller sollte einem die Länge der Geschichte nur dann wichtig sein, wenn er bereit ist, sie drastisch zu kürzen. Glücklich ist der, der von Beginn an weiß, was er alles weglassen kann, um es nicht später mühsam wieder aus dem Text entfernen zu müssen …

WordPress fragt mich gerade …

Was würdest du tun, wenn du im Lotto gewinnen würdest?

La Habana, 2011

Natürlich habe ich Träume, die man mit Geld fast allesamt erfüllen könnte. Ein Millionengewinn im Lotto beispielsweise – wo würde ich hinwollen? Ich habe kaum Wünsche, was Anschaffungen betrifft, aber viele Orte, die ich gerne mit Richard besuchen würde, und wenns passt, auch mal länger zu bleiben:

  1. In die Berge. Für eine Woche dort fotografieren und schreiben, das Notizbuch auf einem Klapptisch
  2. Irgendwo in Afrika, in der Nähe des Kilimandscharo. Wieder auf einem Klappsessel und an einem Klapptisch in der Savanne. Unter einem Baldachin, der Schatten spendet, Bier trinken, mit einem Träger flirten, fotografieren und schreiben
  3. Auf der Chinesischen Mauer wandern, fotografieren und wieder … schreiben (Der Klapptisch und das Schreiben, die verfolgen mich)
  4. Mit Richard in einem großen Wohnmobil in den USA von Südosten nach Nordwesten und retour
  5. Cuba – aber diesmal auch Matanzas, Cienfuegos, Varadero, Cidra, Siearra Maestra und Los Arabos, um bei Eddy Blanco Ananassaft mit Rum zu trinken
  6. Dachstein, den Gletscher runter nach Norden, zum Stein, um den Todesmarsch von Martin Thaler in die andere Richtung zu gehen
  7. Jägersee, einfach nur dort, und glücklich sein. Klapptisch, Notizbuch, schreiben. Und wenns leicht geht, im See gekühltes Bier
  8. Ein Leben voller Reisen, gebräunt und in Jeans und in festen Schuhen
  9. Bücher kaufen, wann immer ich will
  10. Und der Lebensabend mit Richard vielleicht auf Kuba – ein Holzhaus am Strand. Alt werden, viel lachen, Freunde haben, glücklich zu ihm hinsehen, und am Ende, über die Mondstraße nach Hause gehen, wo immer das sein mag

Aus meinem Moleskine von 2011 – ziemlich verwitterte Schrift.

Moleskine2011

Was man nicht sagt

Ich lese gerade mit sehr viel Genuss das Buch „Schöner schreiben“ von Hauke Goos. Eine Sammlung von 50 wundervollen Sätzen und Szenen der deutschen Literatur. Ganz großartig ist nicht nur die Auswahl der bemerkenswerten Sätze und Szenen, sondern auch die literarische Auseinandersetzung mit der Auswahl.

In all den Beispielen finde ich mehr oder weniger deutlich die alte Weisheit, dass man nicht alles sagen muss, was man weiß, um den Leser zum Mitwisser zu machen. Oft liegt genau in dem, was man zB mit einem Gedankenstrich auslässt, eine dröhnende Wahrheit. Und da fiel es mir wie ein Flies in die Hände – die Erkenntnis, wie ich ein Romanprojekt retten kann, dessen Idee mich nach wie vor vollkommen überzeugt, dass ich aber verzagt liegenließ, weil ich nicht wusste, wie ich mich der Geschichte nähern soll. Jetzt hab ichs. Im Grunde genommen haben mir das schon so einige Kritiker gesagt, mehr oder weniger unverblümt, mehr oder weniger geschickt. Hemingway war wahrscheinlich der Großmeister der Auslassung; den Leser zu einer Wahrheit führen, in dem man sie nicht ausformuliert. Verdammt, das führte schon James Woods in seinem Buch über die Kunst des Erzählens an.

Na gut, dann also los. Ich lasse mal den Elias auf der Venus allein (okay, okay, er ist erst auf dem Weg dorthin und lernt gerade das Gespenst der Rakete kennen) und widme mich der Geschichte einer merkwürdigen und letztendlich zutiefst vergifteten Freundschaft zwischen einem alten Mann und einem schönen Jungen – und einem vollendeten Betrug …