Geleitwort zum Roman Cyborg me

Als ich im Dezember 2021 mit der Arbeit an diesem Roman anfing, hatte ich den Blues. Also keine echte Lebenskrise oder so, sondern eine winterlich-nostalgische Stimmung. Nach vielen Jahren hörte ich mir wieder den Soundtrack zum Film Blade Runner an, den Originalsoundtrack von Vangelis aus dem Jahr 1981. Ein Meilenstein der Filmmusik, vollkommen neue Klangwelten.

Ich hatte Bilder im Kopf von einem Film, den ich kürzlich gesehen hatte: Die sehr stimmige Neuverfilmung von DREDD. Diese Gebäude und Nebel und Regen und Mitternachtsjazz. Das war eine Stimmung, in der ich nicht nur schreiben konnte, sondern es wirklich wollte.

Vangelis, Le Reve

Also begann ich mit der Arbeit an Cyborg me ohne eine Handlung zu haben. Da war nur ein Gefühl, dass es hinter dem Regen, dem Gewitter, hinter der Jazzimprovisation des Saxofons eine Geschichte gab. Ich musste nur in diesem Szenario spazieren gehen und die Augen offenhalten.
Ich eröffnete den Roman mit der Szene eines Mannes, der mitten in der Nacht aufwacht, allein in einer riesigen Wohnung, irgendwo im hundertsten Stock eines alten Wohnblocks – in Mexico City. Ich schwöre, das fiel mir in dem Moment ein, als ich es schrieb, und als ich es geschrieben hatte, wusste ich auf einmal sehr genau, wie ich das Setting haben wollte: Eine Geschichte wie Blade Runner, nur in Lateinamerika statt in den USA. Eine Welt nach dem Klimawandel, modern und doch auch konservativ, mit neuen Konflikten, Idealen und Verwerfungen.

Ich schrieb in zwei Sitzungen weiter bis zu dem Moment, als mein Protagonist das erste Mal das fahle rote Licht aus dem Auge des Jungen sieht, in einer Hauseinfahrt in der Zone Rosas. Dann unterbrach ich die Arbeit für zwei oder drei Tage, surfte im Internet und stolperte über dieses Foto:

Genau dieses Portrait löste in mir eine Reihe von Fragen aus, und weil ich nun mal ich bin, ging es bei diesen Fragen auch wieder einmal um Sex & Moral. Und aus diesen Fragen filterte ich eine einzige Frage heraus: Was macht es mit Dir, wenn Du als gerade mal zwanzigjähriger Bursche bei einem Unfall Deinen Körper verlierst, einen Maschinenkörper erhältst, der perfekt funktioniert, der aber keine wie auch immer geartete sexuelle Lust wahrnehmen kann, Du aber nach wie vor ein Zwanzigjähriger bist, der bis vor dem Unfall ein sehr liquides Sexualleben geführt hat? Was macht es mit Dir, wenn Dein Körper zu einem Käfig wird, der Deine Sexualität, Deine natürliche Geilheit hermetisch abriegelt, weil da nun mal kein Penis mehr ist, keine Eier und auch kein Arsch?

Und der Junge auf dem Foto hat ja dann auch das rote Leuchten im Auge.

Cyborg me ist meiner Meinung nach ein sehr visueller Roman und auch, hoffe ich, sehr sinnlich.

Ich habe zwar auch versucht, das Leben im Jahr 2125 einzufangen, in einem verregneten, nebeligen Mexiko, konzentrierte mich aber auf das Spannungsfeld zwischen Samson Aguilar und Max Osmin, zwei Verlorene, die sich im Regen finden und zur Welt des anderen werden.


Ich habe die Playlist ausgegraben, auf der ich Musikstücke sammelte, während ich den Roman schrieb. Die Musik trifft sehr gut die Stimmung der Stadt, der Nacht, Samsons Einsamkeit im Wohnblock MECOL III, Max Osmins Bemühungen, einen Funken Menschlichkeit überspringen zu lassen.

Schreibe einen Kommentar