Der Wind und die Berge

Woran mache ich Glück fest, woran erkenne ich es? Es ist nicht an ein gelungenes Leben gebunden, und doch kann man es an der Resonanz im Leben festmachen. Für mich ist Glück ein Peak der Resonanz, ein Höhepunkt des gelungenen Lebens vielleicht. In jedem Fall hat Glück für mich immer den Charakter völliger Privatheit. Der Moment gehört mir und ist nahezu unteilbar. Glück ist kein soziales Erlebnis, kein Fotomoment, keine Videoaufnahme.

Richard und ich waren vor einigen Jahren zu Richards Geburtstag Mitte Oktober in den Tiroler Bergen in der Nähe von Fendels auf Kurzurlaub. Wir waren gut für Bergwanderungen ausgerüstet, verständigten unsere Wirtsleute, wohin wir wollten und wurden von der Wirtin freundlicherweise mit dem Jeep bis zur Fendelsalm hoch gefahren. Von dort wanderten wir steil bergauf, mit dem Ziel, das Otto-Renk-Haus zu erreichen, dort eine Pause einzulegen und dann weiterzuwandern zum großen See. Die Wanderung war für uns erschöpfend, aber das kristallklare und nahezu windstille Wetter erfüllte uns mit Kraft und einer Art Freude, die tief in unserer körperlichen Erschöpfung wurzelte.

Nachdem wir eine starke Steigung überwunden hatten und sich uns das majestätische Panorama der Alpen geboten hatte, blieben wir stehen, atmeten durch, sahen uns an und dann die Landschaft. Wir zückten nicht die Smartphones, wir holten nicht den Fotoapparat aus dem Rucksack. Wir standen einfach da im Schweigen der Berge und hörten nur das Gewiesel des Windes, der die Kälte der vereisten Felsen von oben herabwehte.

Und da war es. Dieses Gefühl, als würden sich zwei Töne, die sich gerade noch dissonant aneinander rieben, zu einem gewaltigen, dröhnenden Chor vereinen, als würde alles, das ganze Leben und darüberhinaus die Welt und das Universum zurechtrücken und in der Gewissheit münden, dass man Teil einer Schöpfung ist, seinen Platz hat und in vollkommener Resonanz mit einfach allem steht.

Solche Momente wiederholen sich nicht am laufenden Band, sie lassen sich auch nicht erzwingen und sie lassen sich auch nicht reproduzieren.
Ja, wir streben alle nach Glück und wenn wir ein wenig Glück haben, finden wir Zufriedenheit.

Ein anderes Mal fand ich diesen Frieden, der sich zu Glück ausweitete, als Richard und ich in Polen waren und mit seiner Tante dort ihr Grundstück in einer verwilderten Kleingartensiedlung im Süden der Kleinstadt Walcz besuchten. Wir ernteten Erdbeeren, tranken Wein und als es am frühen Abend im goldenen Licht der tief stehenden Sonne Zeit war, zum Auto zurückzugehen, war der Moment da. Er erhob sich wie ein unsichtbarer Nebel aus der wilden Landschaft, getragen vom fernen Gebell eines Hundes und dem Miauen einer Katze ganz in der Nähe. Das Plätschern eines Baches. Das Licht, das durch das Blätterwerk der Bäume flirrte.

Wieder keine Kamera, kein Smartphone – Gott sei Dank!

Ich habe nie mit jemand darüber gesprochen, weil es mir unmöglich scheint, einen solchen Moment teilen zu können. Egal, wie sehr man die Menschen um sich liebt, den Partner, den man an seiner Seite hat und mit dem man alles teilt. Es gibt Glücksmomente, deren Intensität in der Exklusivität des Erlebnisses begründet scheint – und sei es nur die eine Sekunde, in der man die erschöpften Füße in das eiskalte Wasser eines Bergbaches steckt und die Stille der Berge um sich mehr spürt als hört.

Vielleicht ist es eine der Aufgaben des Lebens, sich selbst auf das Erkennen solcher Momente vorzubereiten? Und nicht nur das: auch, sich selbst die Möglichkeit zu geben, sie auszukosten.


Ich schreibe das alles, weil ich heute eine Sendung gesehen habe, in der über die most instagramable locations berichtet wurde, und wie Leute dort in Scharen hinpilgern, ohne die Gegend zu genießen, sich stundenlang anstellen, um dann ein Foto zu machen. Wie sie mehr Energie, Zeit und Aufwand in die Vorbereitungen des Shootings investieren als in den Genuss, dort zu sein. Weil die Darstellung von Glück und Zufriedenheit wichtiger zu sein scheint als das Erleben von Glück und Leben in Zufriedenheit.

Interessant scheint mir diesbezüglich, dass die Orte, an denen ich die große Harmonie zu erahnen beginne, allesamt für Influencer uninteressant sind. Niemand dort, außer ein paar Einheimische, ein paar goldene Strahlen der späten Sonne, Abendstille.

Was weiß ich, ein wild verwucherter Garten in der Provinz Matanzas, in der Nähe von Los Arabos. Pferde wiehern, Kinder lachen. Es riecht nach Zigarrenrauch und gegrilltem Huhn. Eine Hand legt sich auf meine, sanft wie eine Brise. Dort ist der letzte Schimmer des Tages. Wir haben die Nacht im Rücken. Und ganz weit weg, dort zwischen den Sternen, greift das Universum in die Tasten und erzeugt diesen gewaltigen Orgelton, der uns als ein sanftes Säuseln erreicht. Man muss nur still sein und bereit, ihn zu hören, den universalen Sound des Glücks.

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